: Rebecca F. Kuang
: Yellowface Roman. »Rasiermesserscharf!« TIME
: Eichborn AG
: 9783751755634
: 1
: CHF 19.80
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 383
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

»Krimi, Satire, Paranoia, heiße Debatten. Vor allem aber eine absolut großartige Geschichte.« TEPHEN KING

»Ich habe dieses Buch wahrscheinlich schneller verschlungen als alles, was ich in diesem Jahr gelesen habe.« ANTHONY CUMMINS, THE GUARDIAN

June Hayward und Athena Liu könnten beide aufstrebende Stars der Literaturszene sein. Doch während die chinesisch-amerikanische Autorin Athena für ihre Romane gefeiert wird, fristet June ein Dasein im Abseits. Niemand interessiert sich für Geschichten 'ganz normaler' weißer Mädchen, so sieht es June zumindest.

Als June Zeugin wird, wie Athena bei einem Unfall stirbt, stiehlt sie im Affekt Athenas neuestes, gerade vollendetes Manuskript, einen Roman über die Heldentaten chinesischer Arbeiter während des Ersten Weltkriegs.

June überarbeitet das Werk und veröffentlicht es unter ihrem neuen Künstlernamen Juniper Song. Denn verdient es dieses Stück Geschichte nicht, erzählt zu werden, und zwar egal von wem? Aber nun muss June ihr Geheimnis hüten. Und herausfinden, wie weit sie dafür gehen will.



<p><strong>Rebe ca F. Kuang</strong> ist<i><b>NEW-YORK TIMES</b></i>-Bes sellerautorin und wurde vielfach für ihr Werk ausgezeichnet. Ihr Roman<strong>Babel</ trong>war ein weltweiter Erfolg und gewann unter anderem den<b>BRITISH BOOK AWARD</b> und den<b>NEBULA</b>. Sie ist Marshall-Stipendiatin, Übersetzerin und hat einen Philologie-Master in Chinastudien der Universität Cambridge und einen Soziologie-Master in zeitgenössischen Chinastudien der Universität Oxford. Zurzeit promoviert Rebecca Kuang in Yale in Ostasiatischen Sprachen und Literatur.</p>

EINS


In der Nacht, in der ich Athena Liu sterben sehe, feiern wir ihren Vertrag mit Netflix.

Bevor ich beginne, solltet ihr zwei Dinge über Athena wissen, damit diese Geschichte Sinn ergibt.

Erstens hat sie alles: einen Mehrbuchvertrag mit einem großen Verlag, den sie unmittelbar nach dem College unterschrieb, einen Master of Fine Arts von einem berühmten Schreibprogramm, einen Lebenslauf voller namhafter Künstlerresidenzen und eine Liste mit Preisnominierungen, die länger ist als mein Einkaufszettel. Mit siebenundzwanzig Jahren hat sie drei Romane veröffentlicht, von denen jeder erfolgreicher war als der vorherige. Für Athena war der Deal mit Netflix kein lebensveränderndes Ereignis, sondern bloß eine weitere Trophäe für ihre Sammlung, einer der vielen netten Nebeneffekte auf ihrer rasanten Reise zu literarischem Weltruhm.

Zweitens, und womöglich als Folge von Punkt eins, will kaum jemand mit ihr befreundet sein. Schreibende in unserem Alter – junge, ambitionierte Talente Anfang dreißig – treten oft im Rudel auf. In den sozialen Medien kann man sie gut beobachten – sie schwärmen von den unveröffentlichten Manuskripten der anderen (DIESEGESCHICHTEMACHTMICHFERTIG!), kreischen beim Anblick neuer Buchcover (ESISTSOWUNDERSCHÖN,ICHSTERBE!!!) und posten Selfies von literarischen Gruppentreffen, die rund um den Erdball stattfinden. Doch auf Athenas Instagram-Fotos ist niemand anderes zu sehen. Sie twittert regelmäßige Updates zu ihrer Karriere und teilt schräge Witze mit ihren siebzigtausend Follower:innen, aber sie erwähnt nur selten andere Leute in ihren Posts. Sie betreibt kein Namedropping, schreibt keine Blurbs, empfiehlt nie Bücher von Kolleg:innen und zeigt sich nicht öffentlich in Begleitung, wie es viele junge Autor:innen zu Beginn ihrer Karriere auf so demonstrative, verzweifelte Art tun. Seit ich sie kenne, hat sie nie auf irgendwelche engen Freund:innen Bezug genommen, außer auf mich.

Lange dachte ich, sie wäre einfach unnahbar. Athena ist so irrsinnig erfolgreich, da leuchtet es ein, dass sie sich nicht mit Normalsterblichen umgeben will. Athena chattet vermutlich nur mit Leuten, die ein blaues Häkchen haben und mit anderen Bestseller-Autor:innen, die sie mit ihren abgehobenen Beobachtungen zur modernen Gesellschaft bei Laune halten können. Athena hat keine Zeit, um sich mit dem Proletariat anzufreunden.

Doch in den letzten Jahren habe ich eine weitere Theorie entwickelt, nämlich dass alle anderen sie genauso unerträglich finden wie ich. Schließlich ist es schwer, mit jemandem befreundet zu sein, der dich bei jeder Gelegenheit aussticht. Vermutlich mag niemand Athena, weil niemand das Gefühl mag, im Vergleich mit ihr ständig den Kürzeren zu ziehen. Vermutlich stehe ich zu ihr, weil ich so armselig bin.

An diesem Abend ist Athena also nur mit mir in einer lauten, überteuerten Rooftop-Bar in Georgetown. Sie kippt die Cocktails in sich rein, als müsse sie beweisen, dass sie Spaß hat, und ich trinke, um die Bitch in mir zu betäuben, die sich wünscht, sie wäre tot.

Athena und ich sind lediglich aufgrund von äußeren Umständen Freundinnen geworden. Während unseres ersten Studienjahrs in Yale wohnten wir auf derselben Etage, und da wir beide schon immer wussten, dass wir Schriftstellerinnen werden wollten, fanden wir uns in denselben Schreibseminaren wieder. Anfangs veröffentlichten wir beide Kurzgeschichten in denselben Literaturzeitschriften, und einige Jahre nach dem Abschluss zogen wir in dieselbe Stadt – Athena wegen einer renommierten Stelle an der Georgetown University, wo man Gerüchten zufolge so beeindruckt von einer Gastvorlesung war, die sie an der American University gehalten hatte, dass das Englisch-Institut eigens für sie eine Stelle im Bereich Kreatives Schrei