Meine Kindheit in Russland
Wenn ich an meine frühe Kindheit zurückdenke, sehe ich immer wieder ein Bild vor mir: ich im hintersten Eckchen des Gartens auf einer Wiese voller Mohnblumen und Nelken. Geflohen aus dem Haus der Großeltern, in dem die Erwachsenen laut stritten.
Ich bin in Kasachstan geboren, und unsere Familie ist oft umgezogen. Eine Zeit lang lebten wir bei den Großeltern, und heftiger Streit war an der Tagesordnung. Disharmonie, Neid, ja sogar Hass prägten die Stimmung. So dünnhäutig, wie ich als Kind war, konnte ich diese Schwingung schier nicht aushalten. Zum Glück konnte mir meine Intuition immer schon frühzeitig mitteilen, wann wieder ein Konflikt eskalieren würde. Und so brachte ich mich rechtzeitig aus der Schusslinie, lief aus dem Haus und versteckte mich in meinem kleinen Paradies: dem Garten der Großeltern. Ich verzog mich in die hinterste Ecke, um ja nicht gefunden zu werden. Dort saß ich dann auf der Wiese. Die Blumen und die herumschwirrenden Insekten halfen mir, mich zu beruhigen.
Die Natur war für mich schon im Vorschulalter das Paradies auf Erden. Während im Haus meiner Familie aggressiv gestritten wurde, tauchte ich ein in die Liebe, die für mich auch damals schon von der Schöpfung ausging. Ich spürte eine himmlische Präsenz, konnte sie aber noch nicht benennen. Ich kannte nicht einmal Märchen oder Sagen, und man hat uns auch niemals Gutenachtgeschichten vorgelesen. So konnte ich keine Vorstellung von Natur- und Fabelwesen, von Zwergen und Gnomen, von Feen und Elfen entwickeln. Doch ich erlebte ganz aus mir selbst heraus die Natur als einen heiligen Ort. Vollkommen, konfliktfrei, friedvoll. Liebe habe ich als Kind immer durch den Rückzug in die Natur erfahren, weniger durch Menschen. Denn die Menschen um mich herum in meiner Ursprungsfamilie waren alle in hohem Maße mit sich selbst beschäftigt und überfordert.
Einen Menschen allerdings gab es, mit dem mich eine besondere Liebe verband: meine Urgroßmutter mütterlicherseits, Palina. Wenn ich mir meine Kinderfotos anschaue, dann sehe ich mich ausschließlich mit ihr in einem innigen Kontakt und auch mal in einer Umarmung. Sie war für mich in ihrem ganzen Wesen ein heiliger, liebevoller Mensch. Wenn wir Enkelkinder – ich war die Älteste der ganzen Schar – ins Haus kamen, war sie diejenige, die sich erkundigte, ob wir Hunger haben. Und egal, zu welcher Tages- oder Nachtzeit, sie hat uns etwas gebacken oder gekocht. Kein Gericht war ihr zu kompliziert oder zu aufwendig, wenn sie uns Kinder damit stärken konnte.
Mit meiner Urgroßmutter Palina verband mich eine besondere Liebe.
Mein Studium in den Armen der Urgroßmutter
Schon in meinen ersten Lebensjahren begegneten mir Tag und Nacht die Seelen zahlreicher Verstorbener. Sie spukten auch durch meine Träume, immer neu kamen sie auf mich zu und zeigten sich mir in den erschreckendsten Bildern. Ich wusste nicht, warum sie das taten und was sie von mir wollten, und so wurde ich fast jede Nacht von Panik ergriffen. Zu meiner Mutter oder meinem Vater konnte ich damit nicht gehen. Sie wollten davon nichts wissen. Einzig meine Urgroßmutter schickte mich nicht weg, sondern nahm mich in meiner Angst einfach in ihre Arme.
Es war in der damaligen UdSSR verboten, einer Religion nachzugehen – doch meine Urgroßmutter führte auf ihre Weise ein spirituelles Leben. Sie strukturierte ihren Alltag ganz klar danach, dass sie mehrmals täglich Gebetszeiten für sich fand. So sah ich sie zu besti