Die Liebe hemmet nichts
Die Liebe hemmet nichts;
Sie kennt nicht Tür noch Riegel
Und drängt durch alles sich:
Sie ist ohn’ Anbeginn,
Schlug ewig ihre Flügel
Und schlägt sie ewiglich.
Matthias Claudius
Die Liebe drängte durch alles sich, schlug ihre Flügel, kannte nicht Tür noch Riegel – bis diese sich eben undurchdringlich schlossen, als August 1904 zum Studium nach Düsseldorf zog. Es war Elisabeth, die den Vorschlag machte, keine Briefe zu tauschen, die Trennung als eine Art Probe zu nehmen, ob die überschwänglichen Gefühle auch Bestand hätten. So ein vernünftiges Mädchen!
August hingegen fiel in den Wochen vor seinem Umzug in tiefe Traurigkeit, der Götterliebling, als der er in Bonn von seinen Freunden und in allen Familien gefeiert wurde, sah schwermütig in die Zukunft. Elisabeth nahm die Veränderungen in seinem Wesen wahr:Er, den das Glück sichtbar bevorzugte, er trug an allem schwer, an seinem eigenen Glück, an der mannigfachen Schönheit der Natur im kleinsten wie im größten, an dem harten Dahinleben mancher Menschen. Ihn ergriff all das im Innersten, und er litt darunter. Das wußten die wenigsten, die ihn kannten; er galt stets als der heitere, glückverbreitende, immer strahlende Jüngling.
Wenn er stundenlang neben ihr herging, ohne ein Wort zu sprechen, schob sie ihre Hand in die seine. Ich bin da, signalisierte sie ihm mit ihrer Geste. Aber an manchen Tagen blieb er umflort, da konnte sie ihn nicht aus seinen trüben Stimmungen reißen.
Angst vor dem Neuen? Zweifel, ob es die richtige Entscheidung gewesen war, die Schule abzubrechen? Die räumliche Trennung von Lisbeth? Von seiner Familie?
Sein Vater, zunächst voll heftiger Einwände gegen das Kunststudium, hatte ihm den Segen gegeben, den letzten Segen. Denn er war schwer erkrankt, lag seit Wochen im Bett. Vier Wochen nachdem August nach Düsseldorf gezogen war, entdeckte Elisabeth ihn zufällig auf ihrem Schulweg. Er kam offensichtlich vom Bahnhof, das weite Cape flatterte bei seinem stürmischen Schritt, er schien verwirrt, bestürzt. Sie sprach ihn an, doch August stammelte nur: »Mein Vater, sehr krank«, und eilte an ihr vorbei.
Am nächsten Morgen erfuhr sie, dass August zu spät gekommen war, sein Vater war am Morgen des 27. Oktober 1904 gestorben.
Dieser Verlust traf den Sohn hart. Er hatte seinen Vater verehrt, in ihm künstlerische Ambitionen entdeckt, die dieser nicht hatte ausleben können. Stattdessen war er ein erfolgloser Geschäftsmann geworden; von vielen ausgenutzt und hintergangen, hatte er eine Baufirma in den Konkurs getrieben und das Erbe seiner Frau, der reichen Bauerntochter aus dem Sauerland, aufgebraucht. In den Augen der Welt war er ein Versager, in Augusts Augen ein sensibler, liebevoller Mensch, der den harten Realitäten eines Unternehmerlebens nicht gewachsen war. Wie anders war da seine Mutter Florentine, die mutig und zupackend bisher alle Schwierigkeiten überwunden hatte. Als die Familie nahezu mittellos aus dem Sauerland ins Rheinland gezogen war, hatte die Mutter eine Pension eröffnet, um damit einen gesicherten Verdienst zu schaffen. Jetzt, nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes, würde sie viele Prozesse gegen betrügerische Mitarbeiter durchzufechten haben, gegen unzufriedene Kunden, die Schadenersatz forderten.
Am Allerseelentag, einen Tag nach der Beerdigung, ging Elisabeth mit August durch die Felder, die altvertrauten Wege. Sie hoffte, ihren