Über innere Freiheit
Einleitende Worte zum Gefängnistagebuch von Hans Uhlmann
Carmela Thiele
Ein Tagebuch kann vieles sein: eine Chronik der Ereignisse, der Befindlichkeiten, der Gedankengänge. Es kann auch als imaginärer Gesprächspartner dienen oder als Ort, an dem sich die Gegenwart mit Erinnerungen und Zukunftsgedanken mischt. Das alles trifft auf das Gefängnistagebuch von Hans Uhlmann zu, welches der damals 34-Jährige über einen Zeitraum von etwa einem Jahr in französischer Sprache während der Haft in der Strafanstalt Tegel verfasste. Das Dokument spiegelt eine wichtige Phase im Leben des in den 1950er- und 1960er-Jahren international tätigen Berliner Zeichners und Bildhauers. Über dessen erste Schritte als Künstler war, mit Ausnahme seiner Teilnahme als Violinist im »Collegium musicum« der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, bisher wenig bekannt.1 Der musisch begabte Ingenieur vertraute seinem Tagebuch seine Ambitionen, Zweifel und Pläne an. Der Text liest sich über weite Strecken als Genese einer Künstlerpersönlichkeit, als Summe spezifischer Erfahrungen, Lektüren und zeichnerischer Erkundungen.
Der erste Eintrag des Tagebuchs datiert vom 8. April 1934. Die ersten Notizen zu seiner Lektüre französischer Klassiker entstand sechs Monate nach seiner Inhaftierung als politischer Gefangener und ein Jahr nach dem Inkrafttreten des Ermächtigungsgesetzes, das die Weimarer Republik in eine Diktatur verwandelte. Der politisch linksstehende Hans Uhlmann hatte nach Adolf Hitlers Ernennung zum Reichskanzler im Januar 1933 seine Stelle als Assistent an der Technischen Universität Berlin verloren. Als Kommunist gehörte er zu dem Personenkreis, der gleich zu Beginn des neuen Regimes eliminiert werden sollte. Wegen unerlaubtem Plakatieren war er 1932 schon einmal auf die Polizeiwache am Alexanderplatz gebracht worden. Am 26. Oktober 1933 waren es Gestapo-Beamte, die ihn und einen »Bekannten« auf offener Straße in Berlin-Schöneberg wegen »Verdacht auf Hochverrat« festnahmen.
Diese Episode seines Lebens und die darauffolgende Odyssee durch mehrere Berliner Gefängnisse fand unter dem Titel »Kleines Verzeichnis meiner Abenteuer« ab dem 14. Oktober 1934, also erst ein Jahr nach seiner Verhaftung, schrittweise Eingang in das Tagebuch. Der Künstler gibt einen detaillierten, sachlichen Bericht dieser Vorgänge. Am 2. Juni 1934 notiert er: »Oft ist es schwierig, die wichtigen Dinge der Vergangenheit nicht zu vergessen, die Einzelheiten des Prozesses, etc. Das kommt durch die schlechte Ernährung, die langsam, aber sicher den Magen, den allgemeinen körperlichen Zustand und die Beweglichkeit der Gedanken ruiniert. Eine außergewöhnliche Prüfung für unsere Kräfte. – Ich werde Sieger bleiben!« Wenn er bemerkt, dass er gerne einen Satz seiner erkennungsdienstlich abgenommenen Fingerabdrücke für sich gehabt hätte, blitzt subversiver Humor auf – wieder ein kleiner Sieg gegen das Unrechtsregime.
Hans Uhlmann entwickelte während der Haft eine brennende Leidenschaft für die französische Literatur, las Voltaire und Molière, Honoré de Balzac, Gustave Flaubert, Jules Laforgue, Jean Cocteau und Raymond Radiguet, André Malraux und Louis-Ferdinand Céline. Er verschlang aber auch Romane von Thomas Mann, Hans Fallada oder