: Isabell Prophet
: Wie gut soll ich denn noch werden?! Schluss mit übertriebenen Ansprüchen an uns selbst
: Goldmann
: 9783641236816
: 1
: CHF 11.30
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: Lebensführung, Persönliche Entwicklung
: German
: 272
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Von Schwarmblödheit, Big Data und dem Menschen als Projekt
Fitness, Fremdsprachen, Karriere, Liebe und Dating. Die Möglichkeiten, sein Ich zu perfektionieren sind heute unglaublich groß, und das Beste: Alles ist ganz leicht zu erreichen, nur einen Klick entfernt! Jeder kann es spielend leicht schaffen, im Feierabend Norwegisch zu lernen, seinen Traumpartner zu parshippen, 15-Minuten-Transzendenz in der Meditationsapp zu finden und mit YouTube-Tutorials gelenkig wie ein Yogi zu werden. Selbstoptimierung ist so einfach wie nie zuvor, wir sind süchtig danach. Längst ist eine Branche daraus geworden und sie bietet das perfekte Ich zum Kauf an. Der Druck von allen Seiten steigt, wir selbst jedoch fordern am meisten von uns. Dabei ist das Besserwerden eine Illusion, denn der durchoptimierte Mensch ist nicht glücklicher als vorher. Wie groß der Wahn der Ich-Konsumenten geworden ist, zeigt uns Isabell Prophet mit Klarsicht und der nötigen Schärfe. Wir sind der Selbstoptimierung verfallen - und es gefällt uns auch noch. Doch wer sein Glück sucht, sollte einen Gang zurückschalten und sich abgrenzen.

Isabell Prophet, geboren 1986, arbeitet als Journalistin. Sie studierte Wirtschaftswissenschaften, ehe sie bei der Celleschen Zeitung ein Volontariat absolvierte und die renommierte Henri-Nannen-Journalistenschu e besuchte. Sie war bereits für Spiegel Online, Spiegel Wissen, FAZnet, t3n.de, den ZEIT-Verlag und Emotion tätig. Ihre Themen sind Künstliche Intelligenz, moderne Arbeit und modernes Leben, manchmal auch alles gleichzeitig. Isabell Prophet lebt in Berlin.

Verlockungen vor dem ersten Sonnenstrahl


Das Internet kennt mich zu gut. Nach 20 Jahren Beziehung weiß es genau, wie es mich kriegt. Und wenn ich von mir spreche, dann meine ich mein Geld. Und meine Lebenszeit, natürlich. Das Internet will nur mein Bestes.

Es ködert mich mit Versprechen von Liebe, Freundschaft, der Geborgenheit eines Chats und dem Endorphinschub nach einem lustigen Video. Und dank Big Data streut es noch Werbung für Sportschuhe, Kleider, Reisen und Fahrräder ein. Perfekt auf mich zugeschnitten: Ich liebe alles, was ich sehe. Nur Sportschuhe habe ich inzwischen wirklich genug – danke, Internet.

Und dann sind da noch die Heilsversprechen. Versprochen wird mir nicht weniger als der ganz große Hauptpreis im Leben: mein besseres Ich. Die Suche nach dem besseren Ich ist ein gigantischer Markt. Die Suche nach einem Ich, das all die guten Dinge verdient hat – emotional gesprochen, wirtschaftlich aber auch. Ein optimales Ich. Und natürlich: das richtige Ich. Das Ich, das ich wäre, wenn ich nicht irgendwann aus der Spur geraten wäre.

Eigentlich finde ich mich gar nicht mal schlecht, aber es geht vermutlich noch um einiges besser. Diese Frau, die beim Joggen regelmäßig von Schmetterlingen abgehängt wird, das binnichtwirklichich. Mein wirkliches Ich steht frühmorgens auf und hat beim Laufen dann Spaß. Das Internet weiß das natürlich. Und es verspricht mir das Blaue von einem wolkenverhangenen Himmel herunter, wenn ich nur diese Schuhe kaufe, diesen virtuellen Trainer engagiere und meine minderbemittelte innere Mitte zentriere. So einfach ist das.

Mehr Produktivität, mehr Gelassenheit und natürlich viel mehr Glück und Gesundheit gewinne ich dem Internet zufolge, wenn ich morgens um 5 Uhr in der Frühe aufstehe, 7 Minuten Sport mache, 15 Minuten meditiere und dann 30 Minuten lese. Und zwar auf Papier und keinesfalls Nachrichten. All das vor dem Frühstück und vor dem ersten Sonnenstrahl. Der Weg zur besten Version meines Selbst ist gepflastert mit Aufgaben, Anforderungen, Verlockungen, Regeln und Hashtags.#morningrun, weil man das ja morgens so macht und weil der Hashtag eine Routine suggeriert. Und jeder Tag beginnt mit einer neuen Liste mit sieben Dingen, die glückliche Menschen jeden Morgen tun. Ich hingegen putze mir jeden Morgen die Zähne und ziehe Kleidung an – damit bin ich komplett ausgelastet. Aber wo ist der Hashtag#morgenszähnegeputzt? Wo ist#successfullydressedinmyworkingpajama? Die kleinen Erfolge des Alltags, die feiert wieder keiner.

Warum ist besser sein so anstrengend?

Wenn Instagram recht hat, machen sich glückliche Menschen morgens eine Schale Açaíjoghurt mit Sternchenbananen und ebenso exotischen wie wirkungsfreien Körnern. Dazu gibt es einen Smoothie, gleich mit Rabatt-Code für noch mehr Produkte für den perfekten Start in den Tag. Glückliche Menschen bekommen viele Rabatt-Codes und fangen entweder ganz schön spät mit ihrer Arbeit an – oder sie schlafen echt wenig.

Und das soll mein Leben besser machen?

Nicht mit mir. Natürlich wollen wir besser sein. Ich will auch gern besser sein. Ich frage mich nur, warum das so verdammt anstrengend sein soll. Und warum es schon so früh am Morgen stattfinden muss. »Besser« bedeutet in unserer Gesellschaft in der Regel »Schaff mal mehr!«. Und mit »mehr« meinen wir: die Arbeit, die Hausarbeit, den Konsum. Moderne Übermenschen haben alles im Griff, nehmen sich, was sie wollen, schaffen, was sie müssen, und machen noch das kleine bisschen Mehr, damit alles perfekt aussieht. Wir nennen es Optimierung, aber in Wahrheit ist es eine Materialschlacht. Und das Material sind wir selbst. Unser Körper, unsere Energie, unser Seelenfrieden.

Ich finde Konsum noch nicht einmal schlecht. Es gibt einen Grund, warum mir in Werbeanzeigen Sportschuhe, Kleider, Reisen und Fahrräder gezeigt werden. Ich mag diese Dinge. Das Internet weiß, dass ich sie gern ma