Eine Kiefernnadel, vom Wind herbeigetragen, prallt gegen meine Seite und fällt zu Boden. Es ist eine frische, grüne Nadel aus dem fernen Kiefernwäldchen, in dem die beiden ruhenden Buddhas liegen. Noch bevor sie den Boden erreicht, sende ich einen hellen, klingenden Ton in den blauen Himmel. Mein Körper wiegt sich in der Brise, mit der die Kiefernnadel gekommen ist. Das bringt den kleinen, kreuzförmigen Klöppel, der auf eine Bewegung von mir gewartet hat, zum Schwingen. Er schlägt von innen gegen die Glockenwand und ruft einen klaren Ton hervor, der heiter bis in alle Winkel des Tempels am Berghang schallt.
Mein Klang lässt sich auf den Grashalmen nieder, die in den Felsritzen hinter der Haupthalle wachsen, und erreicht sogar die Schale mit Reis, die man dem Buddha in der Halle dargebracht hat. An Frühlingstagen hört man im Bambusdickicht frische Triebe aus dem Boden sprießen. Im Herbst überzieht knisternd Raureif das herabgefallene Laub. Im Winter knirschen einsame Schritte auf den schneebedeckten Pfaden.
Einige Mönche können nicht einschlafen, wenn sie mich nicht hören. Besucher des Tempels, die meine Stimme nicht vernehmen, finden keinen Frieden, und ihr Herz verlässt vor ihnen diesen Ort.
Niemand stört sich an mir und dem Ton, den ich von mir gebe, wenn ich im Wind schwinge; es ist ein kühles Geräusch, so klar, als strömte Licht hindurch. Manche Leute aus der Stadt hängen sich sogar einen wie mich auf ihren Balkon und warten, dass der Wind vorbeistreift.
Wer es erraten hat, weiß, wer ich bin – der Fisch an der Windglocke, die an der Dachtraufe des Tempels Unju-sa in Hwasun hängt, einer Stadt in der Provinz Jeollanam, ganz im Südwesten von Korea. Gefertigt bin ich aus dünnem Kupferblech, doch durch meine Adern strömt klares Blut. Meine Schwanzflosse zuckt ständig, und jeder Windhauch lässt meine sämtlichen Flossen beben, als würde ich fliegen. Außerdem habe ich einen hübschen Namen: Blauperlenauge. An der anderen Ecke hängt an einer Glocke ein zweiter Fisch wie ich. Er heißt Schwarzperlenauge.
Dass Schwarzperlenauge und ich uns kennengelernt haben, verdanken wir einem Mönch aus dem Tempel Jogye-sa in Seoul. Damals hing ich ganz allein an der Decke eines Ladens in Insa-dong; auf dessen Schild stand:Buddhistischer Supermarkt. Eines Nachmittags, als an den Ginkgo-Bäumen am Straßenrand die ersten Blätter sprossen, kaum so groß wie ein Fingernagel, betrat der Mönch den Laden, stupste mich sanft an, um meinen Klang zu prüfen, und sagte zu der Besitzerin, er wolle mich kaufen. »Der ist genau das Richtige für die Haupthalle des Unju-sa«, erklärte er. »Ein wunderschöner Klang. Der Tempelvorsteher wird begeistert sein.« Dabei lächelte er zufrieden.
Ich hatte keine Ahnung, was das Lächeln des Mönchs bedeutete, wurde aber augenblicklich von der Decke genommen und hübsch in rosa Maulbeerpapier verpackt. Doch kurz bevor das Papier mich einhüllte, geschah etwas Unerwartetes. Die Ladenbesitzerin öffnete die Tür des Lagerraumes, in dem verschiedene buddhistische Artikel verwahrt wurden, holte einen Windspielfisch wie mich heraus und legte ihn auf die Theke.
Das nahm mir fast den Atem! Nie hätte ich mir träumen lassen, dass es dort in jenem staubigen Lagerraum, eingeschlagen in Zeitungspapier, einen Doppelgänger gab, einen, der genauso aussah wie ich.
Die ganze Zeit über war ich unendlich einsam gewesen und hatte mich nach jemand anderem gesehnt. Ich hatte mir so sehr gewünscht, wahrhaftig einem Gefährten zu begegnen, mit dem ich mein Leben verbringen konnte. Ob ich wohl jemals auf ihn treffen würde, diesen jemand, der meine Tage erfüllen würde? Ob es überhaupt jemanden gab, der mich mein Leben begleiten konnte, hatte ich mich gefragt, jemanden, der sein ganzes Dasein in der Hoffnung verbrachte, mich kennenzulernen?
Je nachdem, wem wir begegnen, kann unser Leben eine sehr unterschiedliche Gestalt annehmen. Das Leben ist ein Mosaik aus Begegnungen und Abschieden. Bisher jedoch hatte ich noch nicht einmal die einfachste Form eines solchen Zusammentreffens erlebt. Deshalb war ich zwangsläufig mehr als verblüfft, dass ein Windspielfisch genau wie ich dort im Lagerraum eingesperrt gewesen war und nur darauf gewartet hatte, mir zu begegnen.
Ich besänftigte mein klopfendes Herz, sah ihn an und winkte mit der Schwanzflosse.
»Hallo!«
»Hallo!«
Er erwiderte meinen Blick und winkte ebenfalls mit der Schwanzflosse,