Den ganzen Vormittag über war der Schnee das Hauptgesprächsthema bei den wenigen Kunden, die den Weg in die Apotheke fanden. Am späten Freitagabend hatte es angefangen zu schneien, und seitdem rieselte der Schnee aus tief hängenden Wolken, wie ein dichter weißer Vorhang. Den Räumfahrzeugen der Stadt gelang es kaum, die Straßen frei zu halten, und wer sich am frühen Morgen die Mühe gemacht hatte, den Schnee vom Bürgersteig vor seinem Haus zu schippen, der konnte eine halbe Stunde später wieder von vorne anfangen. Die weiße Pracht, die einen viertel Meter hoch auf Autos, Hausdächern und Mülltonnen lag, erinnerte Anne Böhlefeld an ihre Kindheit. Damals hatte es in jedem Winter so viel Schnee gegeben, und in ihrer Erinnerung war er wochenlang liegen geblieben, nicht so wie heutzutage, wo sich der Schnee auf den Straßen binnen weniger Stunden in grauen Matsch verwandelte. Sie fand es beruhigend, dass es schneite, so wie früher, als es noch vier Jahreszeiten gegeben und niemand von Klimawandel gesprochen hatte.
Die Kunden brachten die feuchte Kälte und Schneematsch an den Schuhen in den Verkaufsraum der Apotheke, die Jüngeren beklagten sich, weil sie ihre Autos freischaufeln mussten, die Älteren fürchteten, sie könnten stürzen und sich die Knochen brechen, und Anne dachte, dass es so typisch deutsch war, in allem immer nur das Negative zu sehen. Ihrer guten Laune konnte es heute aber nichts anhaben, denn sie hatten gestern einen so kurzweiligen Abend verbracht wie schon lange nicht mehr. Jörg und sie waren bei Freunden zum Krimidinner eingeladen gewesen, und sie hatten so viel gelacht, dass Anne heute Muskelkater im Bauch hatte.
Gegen Mittag versi