: Rabiya Kadeer, Alexandra Cavelius
: Die Himmelsstürmerin Chinas Staatsfeindin Nr. 1 erzählt aus ihrem Leben
: Heyne
: 9783641266103
: 1
: CHF 8.70
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: Biographien, Autobiographien
: German
: 416
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
... Tibet ist erst der Anfang!
Rebiya Kadeer, Chinas bekannteste Dissidentin, war einst die reichste Frau im Reich der Mitte. Doch als sie begann, ihre politische Macht zu nutzen und sich bedingungslos für die Rechte ihres uigurischen Volksstammes, einer muslimischen Volksgruppe in China, einzusetzen, wurde sie zur meistgehassten Frau des Regimes: Fünf Jahre saß sie im Gefängnis, wurde Zeugin von Folter, Vergewaltigungen und Hinrichtungen. Ihre bewegte Lebensgeschichte ist ebenso dramatisch wie politisch brisant.


Rebiya Kadeer, geboren 1948 unter Goldgräbern im Gebirge von Altai, im ehemaligen Ostturkistan, ist Chinas bekannteste Dissidentin. Seit März 2005 lebt sie mit ihrem Mann und sechs ihrer elf Kinder im amerikanischen Exil. Von dort aus kämpft sie leidenschaftlich weiter für ihre uigurischen Landsleute und sammelt Beweise, um die Verantwortlichen für willkürliche Verhaftungen und Exekutionen in China vor ein UN-Tribunal zu bringen.

Prolog

Um vier Uhr morgens setzten mir die Wärterinnen auf einem Tablett vier oder fünf verschiedene Gemüsesorten, Lammfleisch und Hühnchen vor. Ich wusste gar nicht mehr, dass es solch köstliche Speisen überhaupt gab. Eine uigurische Beamtin nach der anderen trat zu mir in die Zelle, mich sorgenvoll musternd: »Warum isst du nicht? Bitte, iss!« Nach einer kurzen Pause erkundigten sie sich: »Welchen Wunsch hast du noch?« Da wurde mir mit einem Mal bewusst, dass sie mich erschießen würden. Das war meine Henkersmahlzeit.

Die Wärterinnen fragten mich, welche Kleidung ich anlegen wollte. Ich verlangte nach meinem weißen langen Rock, meinem langen weißen Ledermantel mit Pelzbesatz und für den Kopf meine geliebte weiße Pelzmütze, meine »Tomak«. Für die Füße wählte ich kurze weiße Stiefel mit etwas höheren Absätzen. Meine Haare wollte ich waschen und lang fallen lassen. »Ich will mich schminken«, sagte ich.

Sie holten mir das Gewünschte aus der Wohnung in Ürümqi. Alle waren darüber informiert worden, dass ich in wenigen Stunden exekutiert werden würde. »Darf ich meine Kinder noch einmal sehen?«, fragte ich voller Hoffnung. »Nein, das wird Gefangenen, die zum Tode verurteilt worden sind, nicht erlaubt«, wurde mir beschieden.

Da bat ich darum, mich in einem großen Spiegel betrachten zu dürfen. Dem Wunsch wurde stattgegeben. Im Spiegel erblickte ich eine schöne Frau. Als ich dieses Bild von mir betrachtete, blieben zum ersten Mal seit langer Zeit meine Gedanken still. Eine unglaubliche Ruhe umfing mich. Alles um mich herum wurde unscharf und vermischte sich, die Wärterinnen, die Zelle, das Licht und der Boden, auf dem ich stand. Nur mich selbst schien es noch zu geben.

Die Chinesinnen hinter mir steckten die Köpfe zusammen und flüsterten miteinander. Ihnen war anzusehen, dass sie Mitleid mit mir empfanden. Ich versank in eine Art innerer Zufriedenheit. Ich war allein – mit der Stille, mit dem Tod und mit meinem Spiegelbild. Viele Häftlinge beklagten laut in ihren Zellen mein Schicksal. Sogar die uigurischen Wärterinnen wischten sich verstohlen Tränen aus ihren Augen.

»Alle Wünsche«, sagte die Uniformierte leise, die mir Hand- und Fußschellen anlegte, »die Sie noch haben, will man Ihnen erfüllen.« Da ich aber meine Kinder nicht sehen durfte, bat ich sie nur darum, mich mit diesen Hand- und Fußschellen noch einmal im Spiegel betrachten zu dürfen. Eine uigurische Wärterin trat zu uns in den Raum und holte die chinesische Kollegin heraus: »Du wirst von jemandem gerufen!« Kaum war die Chinesin gegangen, zog die Uigurin einen Fotoapparat aus der Tasche und machte schluchzend ein paar Aufnahmen von mir.

Sie fragte mich, was ich als letztes Wort für sie hätte. Aber ich war in einem Zustand, der nichts mehr mit ihrer Welt zu tun hatte. »Wie schön bin ich geworden«, seufzte ich, »jemandem, der dem Volk gehört, stehen keine goldenen Ketten, sondern Hand- und Fußschellen. Nur der Mensch ist wirklich frei, der in der Lage ist, solche Hand- und Fußschellen zu sprengen. Gott wird das für mich tun. Ich werde nicht sterben!«

Warum ich so geredet habe, kann ich nicht erklären. Vielleicht war die lange Einzelhaft daran schuld oder die Tatsache, dass ich kurz vor der Hinrichtung stand, ich weiß