Im Ngorongoro-Krater
Gott, du voll Liebe und Güte, der du die Welt so schön gemacht hast und alle Kreatur, die geht und fleucht, angewiesen hast, dass sie deinen Ruhm verkünde, ich danke dir bis an mein Ende, dass du mich unter sie gestellt hast.
Franz von Assisi
Da sind wir nun. Zehntausend Kilometer von Frankfurt weg, in Ostafrika, in der Gegend des Victoriasees. Etwa auf dem gleichen Längengrad wie Leningrad und auf dem Breitengrad des Amazonasstroms in Brasilien. Vierhundert Kilometer südlich vom Äquator; so weit ist Köln von Bremen entfernt. Wir sind glücklich angelangt, mein Sohn Michael und ich, aber wir fühlen ein leises Unbehagen. Werden wir auch wirklich fertig bringen, wessen wir uns unterfangen haben?
Wir sollen den 12 500 Quadratkilometer großen Serengeti-Nationalpark in Tanganjika erforschen. Für Afrikas Riesenmaße ist das nicht viel, nur fünfmal die Fläche des Saarlandes oder knapp die Größe von Schleswig-Holstein, der zwanzigste Teil unserer westdeutschen Bundesrepublik. Aber die Grenzen dieses »Parks« sind nicht in der Wirklichkeit, sondern nur auf Kartenskizzen, auf dem Papier, zu entdecken. Er ist immerhin zweihundert Kilometer lang; mal liegt das Gelände zwölfhundert, mal über dreitausend Meter hoch. Eine einzige »Straße« geht hindurch, und auch die nur zur Hälfte. Obendrein ist sie drei Monate im Jahr sogar mit dem Geländewagen nicht befahrbar.
Und dabei ist diese Wildnis gar nicht einmal dünn bevölkert. Ihre Einwohner können sich an Kopfzahl beinahe mit europäischen Staaten messen: über eine Million sollen dort leben, steht in Büchern und Prospekten geschrieben. Allerdings nicht Menschen, sondern Vierbeiner, vom Elefanten herunter bis zu den ziegengroßen Gazellen, von dem kleineren Getier gar nicht zu reden.
Die Serengeti ist der letzte Fleck in Afrika, wo es noch Riesenherden gibt, die über die Steppen stampfen wie einst das Meer der Bisons über die Graswellen der Prärien Nordamerikas. Hier leben die meisten und die schönsten Löwen. Wir zwei aus Frankfurt haben uns einen Plan ausgedacht, wie wir dieses Ameisenstaatgewimmel doch auszählen und herauskriegen können, woher die Riesenarmeen kommen und wohin sie ziehen. Aber noch nie hat man so etwas in Afrika versucht. Werden wir es wirklich schaffen?
Zuerst hatten wir den Plan, einfach das ganze Gebiet mit der Luftbildkamera zu fotografieren, dann eine Aufnahme an die andere zu setzen und, wie auf einer Landkarte, jedes Tier zu zählen. Aber ein Gnu ist auf solch einem Riesenbild ein kleiner Punkt. Wenn man Gnus von Zebras und Zebras von Gazellen unterscheiden will, dann muss man mit dem Flugzeug unter tausend Metern bleiben und eine nicht gar so große Fläche auf ein Foto nehmen. Und das heißt, so haben wir seufzend nach Luftbildtabellen ausgerechnet, dass wir fünfzigtausend Serienbilder knipsen müssen. Kostenpunkt, auch wenn wir es selber machen, über 250 000 DM So viel hat uns unser Film nicht eingebracht. Also müssen wir gleich im Fluge, vom Flugzeug aus, zählen.
Ob das geht, und ob es wirklich genau geht, probieren wir erst in einem Zoologischen Garten aus, in dem die Tiere eingezäunt leben und uns während unserer Zählung nicht weglaufen können.
Es ist, nebenbei gesagt, der größte Zoo der Welt. In ihm leben neuntausend große Tiere. Seine lückenlosen Umfassungsmauern sind sechs- bis siebenhundert Meter hoch. In diesem Tierpark hätten ganz Berlin und Umgegend bequem Platz. Das Ganze ist nichts anderes als ein riesiger, erloschener Krater, der größte auf unserer Erde der Ngorongoro-Krater. Wo einmal Lava brodelte, da dehnt sich jetzt unten eine riesige, von steilen Kraterwänden umgebene grüne Weidefläche.
Wir wollen, was wir von der Luft aus besehen, erst auf der Erde kennen lernen. Denn es ist gar nicht so