: Aladin El-Mafaalani
: Wozu Rassismus? Von der Erfindung der Menschenrassen bis zum rassismuskritischen Widerstand
: Verlag Kiepenheuer& Witsch GmbH
: 9783462303896
: 1
: CHF 10.00
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: Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
: German
: 192
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Umfassend, kurz, aktuell und fundiert. Hier erfährt man alles, was man zum Thema Rassismus wissen muss. Seit dem gewaltsamen Tod von George Floyd in Minneapolis 2020 wird auch in Deutschland offen, kontrovers und hitzig über Rassismus debattiert. Wie funktioniert Rassismus, wem dient er und wozu? Dieses Buch gibt einen Überblick über die Begriffsverständnisse, die Geschichte und die Gegenwart dieser prägenden menschenfeindlichen Herrschaftsideologie. Dabei werden die jüngsten Entwicklungen und Diskurse unter die Lupe genommen und eingeordnet. Wie definiert man Rassismus, wann ist er entstanden, wie hat er sich bis heute gewandelt? Woran kann man erkennen, ob eine Handlung oder eine Aussage rassistisch ist? Was ist der Unterschied zwischen strukturellem und institutionellem Rassismus - und warum sollte man das wissen? Wie wird Rassismus von Betroffenen wahrgenommen? Welche Verantwortung haben pädagogische Institutionen? Aladin El-Mafaalani forscht seit über zehn Jahren über Rassismus, Diskriminierung und soziale Ungleichheit und fasst in diesem Buch den Stand der Diskussion allgemeinverständlich zusammen.

Aladin El-Mafaalani, 1978 im Ruhrgebiet geboren, ist Professor für Migrations- und Bildungssoziologie an der TU Dormund. Nach dem Studium war er Lehrer am Berufskolleg Ahlen, dann Professor für Politikwissenschaft an der Fachhochschule Münster und später Abteilungsleiter im nordrhein-westfälischen Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration in Düsseldorf. Er studierte an der Ruhr-Universität Bochum Politikwissenschaft, Wirtschaftswissenschaft, Pädagogik und Arbeitswissenschaft und wurde dort in Soziologie promoviert. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, zuletzt 2020 den Preis der Deutschen Gesellschaft für Soziologie für herausragende Leistungen auf dem Gebiet der öffentlichen Wirksamkeit der Soziologie.
Inhaltsverzeichnis

2. Rassismus als Ideologie: Geschichte des Kolonialismus und Erfindung der Rassen(lehre)  25  


Sich mit der Geschichte des Rassismus zu beschäftigen, ist wichtig, um die Entstehungskontexte, die Ursprünge, die Entwicklungen und schließlich die Kontinuitäten zu verstehen, aber auch die Brüche und Veränderungen. Diese sollen insbesondere mit Blick auf Europa und Deutschland skizziert werden.[10] Dabei bleiben die Analysen notwendigerweise grob und holzschnittartig. Es handelt sich bestenfalls um einen ersten Einstieg in das Themenfeld und soll dem Verständnis dienen, dass Rassismus eine Herrschaftsideologie ist, die zu den größten Exzessen der Menschheitsgeschichte geführt hat, aber auch als Erklärung seiner enorm weiten Verbreitung, seiner Wirkmächtigkeit und seiner Hartnäckigkeit. Die Welt, so wie sie sich heute darstellt, lässt sich nicht verstehen, ohne diese Geschichte zu kennen. Oder genauer: Die Welt lässt sich am besten rassistisch erklären, wenn man die Geschichte ignoriert.

Die ersten Züge einer Herrschaftsideologie, die die soziale Hierarchie zwischen ethnischen Gruppen als »natürlich« erscheinen ließ, finden sich bereits im antiken Griechenland.  26  Vor weit mehr als 2.300 Jahren versuchte Aristoteles, mit der Klimatheorie und der Theorie der Sklaverei zu begründen, weshalb es die Griechen sind, die herrschen, und warum alle anderen Völker Barbaren und zum Dienen bestimmt sind. Hierbei sollte es um eine natürliche Ordnung gehen, bei der körperliche, kognitive und moralische Eigenschaften gleichermaßen eine Rolle spielen, die wiederum mit geografischen und klimatischen Aspekten zusammenhängen. Unterschiedliche Hautfarben wurden bereits in der Antike erkannt, allerdings gab es noch keine systematische Hierarchie, was sich unter anderem daran ablesen lässt, dass die Slawen von den Griechen mit am stärksten versklavt wurden – das Wort Sklave stammt vom griechischen Wort für Slawe. Im europäischen Mittelalter waren religiöse und kulturelle Differenzen bereits schwarz-weiß codiert: Das Christentum wurde als weiß und europäisch imaginiert, der Islam als schwarz und nicht-europäisch.[11]

Die »rassistische Zeitrechnung« beginnt dann Ende des 15. Jahrhunderts im heutigen Spanien – nicht, weil Rassismus dort entsteht, sondern weil von dort aus eine rassistische Herrschaftsideologie an Wirkmacht gewinnt, dominant wird und damit die gesamte Welt prägt.[12] 1492 ist das Jahr der »Entdeckung« Amerikas und der Startschuss für Eroberung und Kolonialisierung, und es ist auch das Jahr der Reconquista, des Siegs der spanischen Krone über die Mauren, die jahrhundertelang die Iberische Halbinsel beherrschten, sowie der Vertreibung von Juden und Muslimen. Ende des 15. Jahrhunderts kommen also im Wesentlichen zwei Entwicklungen zusammen, die gleichermaßen für das Verständnis von  27  Rassismus zentral sind: die nationale Einheit Spaniens und der spanische Kolonialismus.

Nationale Einheit. Die Herausbildung des spanischen Staates ging einher mit einer zunehmenden Homogenisierung der Bevölkerung in mehrfacher Hinsicht: Spanisch ist, wer auf spanischem Boden Spanisch spricht und christlich ist. Territorium, Sprache und Religion spielen hier zusammen. Anschließend kam ein weiteres Kriterium dazu: die »Reinheit des Blutes« (limpieza de sangre). Wie kam das Blut ins Spiel? Viele auf spanischem Territorium lebende Juden, deren Muttersprache Spanisch war, konvertierten zum Christentum, weil es die einzige Möglichkeit war, der Vertreibung und dem christlichen Judenhass zu entkommen. Auf sie richtete sich später jedoch erneut der Hass, denn die Konvertierten überflügelten ökonomisch, aber auch im Hinblick auf ihre Bildung die »echten«, das heißt christlichen Spanier und wurden sogar vom Adel als Gefahr wahrgenommen. Der kulturelle und wirtschaftliche Erfolg sowie die damit einhergehenden Verteilungskonflikte erzeugten Neid und Erklärungsnot: Worin lag die Besonderheit, was war ihr Geheimnis? Die Antwort war so einfach wie zu der Zeit nicht widerlegbar: Es läge an ihrem jüdisch