2. KAPITEL
Anna fasste die Zügel wieder fester, und das Herz schlug ihr plötzlich bis zum Hals. Doch als die Gestalt aus dem Gebüsch hervorkam und schließlich vor ihr auf dem Fahrweg stand, entspannte sie sich.
„Grimsley. Ich habe Sie gar nicht erkannt.“
Jahre der gebückten Arbeit über Pflanzen und Gräsern ließen den schmächtigen Mann ein wenig gebeugt gehen. Er hob die Hand und nahm seine Kappe ab, unter der ein wirrer Schopf grau gesträhnter dunkler Locken zum Vorschein kam.
„Guten Tag, Miss“, erwiderte Grimsley und neigte zur Begrüßung ehrerbietig den Kopf. Einst war er Hauptgärtner auf Winterset gewesen, und während all der Jahre, in denen das Haus leer gestanden hatte, war er als Hausmeister geblieben.
„Wie geht es Ihnen?“, erkundigte Anna sich höflich.
„Sehr gut, Miss. Nett von Ihnen, danach zu fragen.“ Er grinste sie an und zeigte dabei seine schiefen Zähne. „Das alte Anwesen ist immer noch eine prächtige Schönheit, nicht wahr, Miss?“
„Ja. Mir hat Winterset schon immer sehr gefallen.“ Anna zögerte kurz und fügte dann hinzu: „Wie ich gehört habe, wird der Eigentümer bald zurückkehren.“
Grimsley nickte eifrig. „Ja, Miss, das stimmt. Mr. Norton war heute hier und hat es mir gesagt. Er meinte, dass die Herrschaften zurückkommen. Vielleicht sind Sie dann ja auch wieder öfter hier.“
Rasch schüttelte Anna den Kopf. „Nein, das denke ich nicht.“
„Es ist nicht gut für das Haus, wenn keine de Winters mehr dort leben.“
„Ich bin mir sicher, dass Lord Moreland Ihnen ein guter Dienstherr sein wird.“
„Er ist aber kein de Winter“, beharrte Grimsley. Er drehte sich um und sah zu dem Gebäude hinauf. „Das Haus ist einsam ohne die Familie. Es war nicht gut, dass Lord de Winter es verlassen hat, um in die Wildnis zu gehen.“
„Nach Barbados“, ergänzte Anna. Wenn sie und Mr. Grimsley sich in den letzten Jahren begegnet waren, kamen sie früher oder später immer darauf zu sprechen.
„Einfach so das Haus zu verkaufen …“ Die Miene des Gärtners drückte Missbilligung aus.
„Es war für meinen Onkel viel zu groß“, sagte Anna, „und er wollte dort nicht mehr leben.“
Der Lord de Winter, über den sie sprachen, war Charles, der Bruder ihrer Mutter. Er hatte nie geheiratet, und da er keine Kinder hatte, waren er und Annas Mutter Barbara die letzten de Winters gewesen. Nachdem er beschlossen hatte, Winterset zu verlassen, überließ er seinen gesamten Besitz der Vormundschaft von Annas Vater, damit nach seinem Tod alles an Kit und Anna übergehen würde. Kit verwaltete nach wie vor die Ländereien und das Vermögen der de Winters, doch ihr Vater hatte das Haus verkauft, da sie alle es vorzogen, auf Holcomb Manor zu leben.
Anna konnte sehen, dass ihre Worte Grimsley wie immer nicht hatten beschwichtigen können. Wahrscheinlich würde ihr das auch nie gelingen, denn der Mann war von Winterset und den de Winters geradezu besessen. Er war auf dem Anwesen geboren worden und hatte dort sein ganzes Leben verbracht. Auch während der letzten drei Jahre, in denen Winterset leer gestanden hatte, hatte er weiterhin in dem kleinen Gärtnerhaus gelebt. Es war allgemein bekannt, dass er seit einiger Zeit ganz gerne dem Gin zusprach, und Anna vermutete, dass seine seltsamen Ansichten nicht wenig damit zu tun hatten.
Sie versuchte, die Unterhaltung wieder zu dem Thema zurückzubringen, das ihr nicht aus dem Kopf wollte. „Wissen Sie, wann Lord Moreland eintreffen wird?“
Grimsley schüttelte finster den Kopf. „Bald, meinte Mr. Norton. ‚Bringen Sie alles gut in Schuss, Grimsley.‘ Das hat er gesagt. Ich frage mich, wie ich das allein schaffen soll.“
„Ich glaube nicht, dass er Unmögliches von Ihnen erwartet“, beruhigte Anna ihn. „Ree… Lord Moreland ist ein sehr gerechter Mann.“
Grimsley nickte, aber Anna konnte ihm trotzdem seine Zweifel ansehen.
„Zudem“, fuhr sie unverdrossen fort und wusste, dass sie weniger dem Gärtner als vielmehr sich selbst Mut zu machen versuchte, „wird er nicht lange bleiben. Ich denke, dass er sich nur noch einmal alles genau ansehen will, bevor er übe