Philadelphia, Dienstag, 12. November 1929. Im Hahnemann University Hospital im zentralen Stadtteil City West erblickt ein Mädchen das Licht der Welt. Die Eltern, Margaret Majer-Kelly und John B. »Jack« Kelly, lassen es zwei Wochen später in der römisch-katholischen St Bridget’s Church in East Falls auf den Namen Grace Patricia Kelly taufen. Grace – so hieß eine von Jack Kellys Schwestern. Sie war auf dem besten Wege, Schauspielerin zu werden, als sie mit nur zweiundzwanzig Jahren beim Eislaufen an Herzversagen starb.
Margaret Majer und John Kelly lernen sich 1914 über ihre gemeinsame Leidenschaft, den Sport, kennen. Als sie sich zum ersten Mal im Philadelphia Athletic and Social Club begegnen, ist Margaret keine fünfzehn. Das attraktive, lebendige Mädchen mit den blauen Augen fällt auf, und so wird sie als Model bald die Cover diverserUS-Magazine schmücken. Aber Margaret ist mehr als das. Die energische, willensstarke Frau legt eine beachtliche Disziplin an den Tag und wird bald nach ihrem Studium die erste Dozentin für Leibesübungen an der University of Pennsylvania. Softball, Schwimmen, Leichtathletik, Basketball und Tennis – Margaret verdient sich den Ruf als bedeutende Förderin des universitären Frauensports. Dieselbe Disziplin lässt Margaret auch bei der Erziehung ihrer vier Kinder walten.
Grace Kellys Sohn, Prince AlbertII de Monaco, erzählt in seinem Arbeitszimmer im Palais Princier de Monaco im persönlichen Vier-Augen-Gespräch von seiner deutschen Großmutter Margaret. Er spricht langsam, bedächtig, mit großem Ernst und spürbarer Nachdenklichkeit. Immer wieder macht er im Gespräch längere Pausen und hält inne. Man kann ihm beim Denken, beim Formulieren der Sätze zusehen. Durch die Eckfenster des weiträumigen Arbeitszimmers geht der Blick hinaus aufs weite Meer der Côte d’Azur.
»Ich erinnere mich sehr gut an unsere Großmutter. Ich war sogar einer der Letzten aus der Familie, der sie noch gesehen hat. Sie war in einem Seniorenheim, da habe ich sie noch einmal besucht, kurz bevor sie starb. Da konnte sie schon nicht mehr sprechen. Aber sie war eine unglaubliche Frau, sehr stark, und uns Kindern ließ sie absolut nichts durchgehen.No nonsense! Wir haben sie fast jeden Sommer besucht. Sie hat uns immer sehr herzlich empfangen, hat für uns gekocht und war für uns da, aber sie legte auch großen Wert auf Disziplin.«4
So schätzt es auch die 1898 in Philadelphia geborene Margaret Kelly selbst ein. »Ich hatte eine gute, strenge deutsche Erziehung. Meine Eltern glaubten sehr an Disziplin, und ich genauso – keine Tyrannei oder so etwas, aber doch eine gewisse Festigkeit.«5
Robert Dornhelm, Regisseur aus Wien und in den Jahren 1976 bis 1982 ein enger Freund Grace Kellys, erinnert sich, deren Mutter sei »eine gute, eine typische strenge Deutsche« gewesen, »ordentlich, streng, preußisch.No Bullshit.« Und weiter: »Grace’ Mutter habe ich kennengelernt – die hat mich angeschaut und gesagt: ›Wie schauen Sie denn aus?‹ Da habe ich gefragt: ›Wieso?‹ Und sie: ›Mit solchen Haaren, viel zu lang, so kann man doch nicht herumlaufen.‹ Und sofort waren sie weg. Grace hat mir die Haare auch geschnitten, das erste Mal, wie sie in Wien war: ›Viel zu lang, so kann man nicht zur Premiere gehen.‹ – Beide hatten sie einen Haarfimmel. Der Vater war auf andere Weise streng. Sie hat es von beiden Seiten ziemlich … mitbekommen.«6
Zur guten, strengen deutschen Erziehung gehört auch die deutsche Sprache. Als Tochter zweier Immigranten mit Wurzeln im hessischen Heppenheim spricht Margaret die ersten Jahre ihres Lebens hauptsächlich Deutsch. Später versucht sie, dieses Erbe, die ihr so vertraute Muttersprache an ihre Kinder weiterzugeben, doch die unheilvolle deutsche Geschichte vereitelt ihre Bestrebungen, und auch ihre eigenen Kinder distanzieren sich deutlich.
»Wir bereiteten ihr solchen Kummer, wenn sie versuchte, uns Deutsch beizubringen. Wir versteckten die Grammatikbücher. Es war die Zeit um den Zweiten Weltkrieg herum, und wir beschwerten uns, wie unpatriotisch das doch sei«7, berichtet Lizanne, Grace’ jüngere Schwester.
»Es war uns nie erlaubt, mit leeren Händen dazusitzen. Wir wussten ganz genau, es wurde von uns erwartet, dass wir stricken. Wir wurden schon mit drei, vier Jahren zum Stricken und zum Häkeln angehalten. Das musste sein, wir waren ja deutsche Mädchen. Es wurde von uns erwartet, und wir mussten es machen.«8 So erinnert sich Peggy, das älteste der Kelly-Kinder, an die Erwartungshaltung ihrer deutschstämmigen Mutter.
»Die meisten Leute in Philadelphia, und auch ich, hatten keine Ahnung, dass Grace Kellys Mutter deutsch war«, erzählt Mary Louise Murray-Johnson, die selbst in Philadelphia geboren wurde, dort bis Ende der Fünfziger auch lebt und die Familie Kelly kennt. »Ich hatte Freunde in derselben Altersgruppe, deren Eltern ihnen vor dem Gang zur Schule sagten: ›Sprich nicht ein einziges Wort Deutsch, nur Englisch, du darfst hier kein Deutsch sprech