: Andreas Hase
: Der Tod macht leicht Sich mit dem eigenen Sterben auseinandersetzen
: nymphenburger Verlag
: 9783485061810
: 1
: CHF 13.10
:
: Lebensführung, Persönliche Entwicklung
: German
: 208
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die Konfrontation mit dem eigenen Sterbensweg und Tod gehört immer noch zu den Tabuthemen in unserer Gesellschaft. Anders als die üblichen Ratgeber zum Thema geht Andreas Hase den konsequenten, eigentlichen Schritt: In zwölf Kapiteln lotet er die Möglichkeiten aus, in innerer Ruhe und vollbewusst so früh wie möglich mit dem Erdenabschied umzugehen. Dies ist kein trauriges Buch, sondern eine sensible Anleitung für ein intensiveres und tieferes Leben. Ein inspirierendes und fesselndes Leseerlebnis.

Wenn die Eltern gehen

Ich habe an seinem Bett gesessen. Und ich möchte erzählen von dem, was dort war. Es hat lange gedauert, bis ich darüber hinweggekommen bin. Damals, als mein Vater mit 77 Jahren gestorben ist. Sein Weg war ein anderer als der meiner Mutter; freilich, jeder Weg ist eigen, einmalig und unverwechselbar. Doch seiner war sehr entschlossen, er nahm fast keine Umwege, er ging sehr gerade durch das wartende Tor, er wankte kaum. Natürlich hatte seine Krankheit ihm den Weg gewiesen, da gab es kein Rechts oder Links, keine Wahl und kein Entkommen. Er wurde in den Tod gezogen wie an einer Schnur.

Der Gedanke ließ mich damals lange nicht los: »Ich werde nie wieder einen Vater haben.« Ich dachte immer wieder an meinen Vater, seinen Kampf, seinen Tod, aber auch an sein Leben, was er war, wofür er stand. Ich erinnere mich, dass ich als junger Mann noch mit nachsichtigem Lächeln an die Erdbeeren dachte, die er in seinem Kleingarten geerntet hatte.Erdbeeren. Ich dachte oft an ihn. Ich erinnerte mich an vieles, viele Begebenheiten, die ich längst vergessen wähnte. Es gab viel Gutes, manches Schlechte, viel Vertragen, schöne Zeiten und Zeiten mit viel Streit. Aber eines war immer da, mein ganzes Leben lang war es immer da: er. Und es dauerte Tage, Wochen, bis ich merkte: Er ist noch immer da. Nicht so, wie ich ihn als Kind gebraucht hatte – aber so, wie ich ihn als Mann brauchte, selbst längst Vater erwachsener Kinder. Und ich begriff: Er wird immer da sein. Da ist kein Ende. Ich werde immer einen Vater haben. Und Erdbeeren zu ernten, in Frieden und Freiheit, ist etwas Großartiges, auf das man stolz sein kann.

Es waren diese Gedanken, als ich am Bett meiner Mutter saß, und Gott sei Dank hatte ich diese Zeit, diesen halben Nachmittag, um mich an ihrem Bett von ihr zu verabschieden. Sie war tot. Verstorben letzte Nacht in ihrem Bett. Als ich sie anfangs betrachtete, sah sie für mich sehr fremd aus. Ja, ich glaube fast, ich hätte die Gesichtszüge kaum erkannt, hätte ich nicht gewusst, dass sie es ist. Ich saß neben ihr und stellte mir vor, dass ich ihr die Hand reiche. Ich stellte mir vor, dass sie sie nimmt. So saßen wir eine Weile schweigend.

Ich erinnerte mich an viele Situationen, kleine Geschichten und große. Ich erinnerte mich, dass sie früher mit mir betete, wenn sie mich ins Bett brachte – es war immer »Müde bin ich, geh zur Ruh …«, oder zumindest will es meine Erinnerung so. Ich erinnerte mich an diesen Tag, an dem ich eine harmlose ambulante Operation an meiner linken Hand hatte, vielleicht war ich acht oder neun. Abends ließ die Betäubung nach und ich lag auf unserem grünen Sofa im neongrellen Wohnzimmer und weinte vor Schmerz. Sie saß neben mir, ihre Hand auf meiner