Kind der Klassik
Ich bekenne: Ich bin ein Klassik-Nerd. Ich habe nicht ein Konzert-Abo, sondern zwei. Ich besitze nicht 100, sondern 1472 CDs (und noch mal 1148 Schallplatten). Ich gehe lieber in die Oper als ins Kino, und das, obwohl ich Filmregisseur bin. Mein Bücherregal besteht aus musikalischer Fachliteratur. Als Teenie las ich nichts anderes als Komponistenbiografien. Jedem, der mich kannte, bin ich mit meinem Wissen auf die Nerven gegangen. Beethoven, Rachmaninow, Schostakowitsch und Mahler hießen meine Freunde. Alle waren lange tot.
Doch wie konnte es dazu kommen? Familiär bin ich von Sportlern umzingelt. Meine Mutter war Leichtathletin, mein Vater war Trainer für Kunst- und Turmspringen und meine älteste Schwester eine seiner besten Sportlerinnen. Meine Neffen spielen Fußball, Handball und Volleyball. Auch mein Opa war Leichtathlet und die Oma beim Ballett.
Als in Dresden während der 20er-Jahre der Ausdruckstanz das Ballett revolutionierte, lernte meine Oma tanzen. In Limbach bei Chemnitz. Fern der sächsischen Metropole und doch nah genug, um den Wind der weiten Tanzwelt zu schnuppern, der über Dresden aus Japan, Amerika und Russland ins Erzgebirge wehte. Famose Schwarz-Weiß-Fotografien meiner Großmutter in orientalischen Gewändern regen seit jüngster Kindheit meine Fantasie an. Was gäbe ich darum, dabei gewesen zu sein!
Mit der Machtergreifung der Nazis, spätestens mit dem Beginn des 2. Weltkriegs war für Oma Schluss mit Ballett. Der Tanz aber ist ihr bis heute geblieben. Wenn der richtige Rhythmus erklingt, zuckt es der 98-jährigen Lady noch heute in den Beinen. Dann kann sie nicht anders, dann muss sie tanzen.
Zu meinen schönsten Kindheitserinnerungen gehören die tanzenden Großeltern. Manchmal, an einem Dienstag oder Donnerstag, wenn ich von der Schule kam, um den Nachmittag bei Oma und Opa