: Birgit Sandkaulen
: Jacobis Philosophie Über den Widerspruch zwischen System und Freiheit
: Felix Meiner Verlag
: 9783787336913
: 1
: CHF 24.70
:
: Philosophie
: German
: 350
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Mit Friedrich Heinrich Jacobi (1743-1819) ist einer der prominentesten und auch gegenwärtig interessantesten Repräsentanten der klassischen deutschen Philosophie zu entdecken. Als Intellektueller, nicht als akademisch bestallter Professor der Philosophie, griff Jacobi in alle wesentlichen Debatten der Zeit ein, die er genaugenommen sogar initiierte und seine Zeitgenossen damit in Atem hielt. Wie »ein Donnerschlag vom blauen Himmel herunter« (Hegel) begann das mit der großen Auseinandersetzung um die Philosophie Spinozas, dessen Aufstieg zu einem Klassiker der Philosophie wir Jacobi verdanken. Es setzte sich fort mit der Debatte um die kritische Philosophie Kants, die Jacobi folgerichtig und mit wiederum größter Resonanz im Streit mit Fichte und Schelling weiterführte. Nicht nur in deren Werk hinterließen diese Debatten tiefe Spuren. Auch die Philosophie Hegels ist ohne Jacobis Anstöße gar nicht denkbar, wie Hegel selbst vielfach bezeugt. Als »mit Kant gleichzeitiger Reformator in der Philosophie« (Fichte) ist Jacobi die graue Eminenz der Epoche. Dennoch passte Jacobi offenbar nicht ins philosophiegeschichtliche Raster, das im 19. Jh. im Milieu einer zusehends akademisch professionalisierten Philosophie entstand. Dafür ist sein Werk zu widerspenstig und zu provozierend. Inzwischen ist Jacobi aber kein Geheimtipp mehr: Seine Werke liegen vollständig in einer kritischen Edition vor und die Edition seines Briefwechsels, des reichsten philosophischen Korrespondenzcorpus der Epoche, schreitet voran. Birgit Sandkaulens Darstellung, die anlässlich des 200. Todestags Jacobis im März 2019 erscheint, entfaltet im ersten Teil »Leitmotive« der Philosophie Jacobis, während im zweiten Teil die zahlreichen Bezüge diskutiert werden, die im Fokus der Auseinandersetzung mit Jacobi zu zentralen Werken Fichtes, Schellings und Hegels führen.

Birgit Sandkaulen ist Professorin für Philosophie an der Ruhr-Universität Bochum und Direktorin des Forschungszentrums für Klassische deutsche Philosophie/Hegel-Archiv. Sie ist Co-Projektleiterin des Akademievorhabens »Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel. Text - Kommentar - Wörterbuch Online« an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig und Mitherausgeberin der »Hegel-Studien«.

2. Fürwahrhalten ohne Gründe. Eine Provokation philosophischen Denkens


Eines der denkwürdigsten und folgenreichsten philosophischen Gespräche ereignet sich 1780 in Wolfenbüttel, ein Jahr vor dem erstmaligen Erscheinen von KantsKritik der reinen Vernunft. Die Gesprächspartner sind Lessing und Jacobi, den Gegenstand ihrer Unterhaltung bildet die Philosophie Spinozas. Keiner dieser drei ist ordentlicher Professor der Philosophie, was für die Unterredung von nicht unerheblicher Bedeutung ist. Primär scholastische Fragen interessieren hier nicht. In zwangloser Eleganz den Sitten des 18. Jahrhunderts angepasst sind dementsprechend die Umstände. Der wichtigste Teil des Gesprächs findet Jacobis Aufzeichnung zufolge während der morgendlichen Prozedur des Ankleidens und Frisierens statt. Kann man sich in einer solchen Szenerie auf ein seriöses Sujet konzentrieren? Ganz offenbar – man kann: Der Ton ist leicht bis ironisch, das wechselseitige Vergnügen an einer freien tour d’esprit knistert zwischen den Zeilen, aber die Sache ist nichtsdestotrotz gewichtig.

Sie ist so gewichtig, dass sie zunächst zu einem ausgedehnten Streit zwischen Jacobi und Mendelssohn führt, der fassungslos ist über das, was sein inzwischen verstorbener Freund Lessing, aber auch über das, was Jacobi gesagt haben soll. Und als dann das Wolfenbütteler Gespräch mitsamt den Dokumenten dieses Streits 1785 von Jacobi veröffentlicht wird, sieht sich das intellektuelle Leben in Deutschland von Grund auf erschüttert. Goethe, dessen GedichtPrometheus in die Sache hineingezogen war, erinnert sich in seiner AutobiographieDichtung und Wahrheit noch Jahre später an eine veritable »Explosion«1; und ganz ähnlich spricht dann auch Hegel in seinenVorlesungen über die Geschichte der Philosophie von einem »Donnerschlag«, der »vom blauen Himmel herunter« die geistige Landschaft einer ganzen Ära traf.2 Danach ist nichts mehr wie zuvor. Nicht Kants Vernunftkritik allein, sonderndie Schriften Kantsund die Publikation Jacobis mit dem TitelÜber die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn (1789 in einer zweiten Auflage um wesentliche Beilagen erweitert) leiten eine neue Epoche ein. Was also hatten Lessing und Jacobi ursprünglich miteinander zu besprechen, das geeignet war, solches Aufsehen zu erregen?

DasHandbuch Deutscher Idealismus gibt auf wenig mehr als einer Seite über den fraglichen Kasus Auskunft. Von »Lessings Bekenntnis zu Spinozas Philosophie« war Jacobi »überrascht«. Er selbst »war