1.2Die interdisziplinäre Herleitung des Formalismus
Der Form-Inhalt-Zusammenhang wird interdisziplinär gestützt: Semiotisch gibt es keine Inhalte „an sich“, die erst sekundär an bestimmte Ausdrucksformen geknüpft würden. Vielmehr sind Inhalte immer schon an Ausdrucksformen gebunden. Zwar lasse sich Neues ausdrücken, aber nur, weil der dafür herangezogene Ausdruck selbst eine Form habe.1 Dieser Formalismus dürfte weitgehend der trivialen Variante entsprechen: Es gibt keine formlosen Inhalte. Insofern bestimmt die Form den Inhalt, was aber nicht heißt, dass derselbe Inhalt nicht auch in einer anderen Form ausgedrückt werden könnte.
Auch die Ästhetik „macht uns darauf aufmerksam, dass Inhalte immer nur in einer bestimmten Form für uns zugänglich sind. DasWas ist immer mit demWie verknüpft. Deshalb ist die Ästhetik falsch verstanden, wenn man sie – wie es nicht selten geschieht – auf Äußerlichkeiten, Stilfragen und formale Aspekte reduziert. Die Ästhetik ist vielmehr eine durch und durch inhaltsorientierte Wissenschaft.“2 In diesem Sinne wird dann sogar von einer „Kongruenz“3 von Form und Inhalt gesprochen. Hierbei handelt es sich um die eigentliche Kongruenzthese im nicht-trivialen Sinn: Wenn Inhalt und Form kongruent sind, folgt nämlich, dass eine Veränderung der Form unmittelbar zu einem anderen Inhalt führt. Ich werde im nächsten Schritt zeigen, dass diese These so konzipiert ist, dass sie sich nicht begründen lässt. Das kann man aber bereits an der geometrischen Metaphorik der Kongruenz erkennen: Das Verhältnis von Form und Inhalt liegt zwischen beiden und besteht dann – im Bild – in der Flächendimension, in der die beiden aufeinanderliegen. Die Kongruenz zeigt sich also in diesem Dritten. Solange aber nicht geklärt ist, was dieses Dritte ist, lässt sich die Kongruenzthese nicht begründen. Ist sie Inhalt2 oder Form2 oder eine Neuheit, wie ich das Verhältnis bestimmen möchte?
Was passiert aber, wenn der Formalismus keine solche dritte Dimension annimmt? Durch den Prozess reiner Selbstreferenz wird nämlich die Flächendimension eingespart. Dadurch wird die Form die „Fläche“ für den Inhalt und der Inhalt die „Fläche“ für die Form. Das führt dazu, dass Form und Inhalt äquivoke Begriffe werden: Sie sind zum einen die Flächendimension, in der das jeweils andere gelegt wird, als auch die Form, die mit der anderen übereinstimmt. Diese Äquivozität beruht auf der reinen Selbstreferenz der formalistischen Begründungsfigur: Wenn Form und Inhalt kongruent sind, weil sie füreinander als passende Dimension definiert werden, kann Beliebiges passend gemacht werden.
Die biblische Auslegung (Exegese) hat in ihren Methodenkanon im20. Jahrhundert die Formgeschichte aufgenommen. Ihr liegt die Beobachtung zugrunde, dass in der Entstehungszeit biblischer Texte individuelle Einsichten durch die Formen der jeweiligen Gattungen stark begrenzt worden sind. Von „gattungsmäßiger Gebundenheit alt- und neutestamentlicher Texte“4 wird gesprochen. Das Ziel der Formgeschichte besteht zwar dari