Einmal Chile und zurück
Der Traum ist ausgeträumt
März 1973. Ich sitze im Flugzeug und Chile bleibt hinter mir zurück. Es ist ein schrecklicher Moment. Am chilenischen Himmel sind schwere Wolken aufgezogen. Das ganze Land ist in Aufruhr. Die politischen Unruhen sind schon bis in die Armenviertel gedrungen. Es liegt in der Luft: etwas ganz Schlimmes wird passieren.
Schon auf dem Flughafen konnte ich mein Weinen nicht in den Griff bekommen. Ich habe immer weiter geweint: bei den Schwestern, bei der Gepäckabgabe, immer weiter. Maruja sagte mir: „Nun wein’ doch nicht mehr. Du kannst im Flugzeug weiter weinen.“ Was sie nicht wusste, was niemand wissen durfte, weil ich im Gehorsam stand: Ich reiste nicht in einen Heimaturlaub, so wie ich es den Mitschwestern, meinen Freunden und allen Menschen in den Armenvierteln sagen musste. Niemand durfte wissen, dass ich für immer das Land verließ. Damals war das im Orden so.
Schon im November hatte ich Nachricht bekommen, dass irgendetwas nicht stimmte. Mit zwei Schwestern lebte ich in einem Armenviertel in Santiago. Die übrigen Schwestern lebten in einem Konvent in einem Viertel der Oberschicht. Ich hatte mehrmals an bestimmten Versammlungen der Ordensgemeinschaft oder auch an manchen Aktivitäten des Ordenslebens nicht teilgenommen. Einige Male war ich nachts über den Zaun des Klosters gestiegen, wenn ich die Türe nicht öffnen konnte, weil jemand den Riegel vorgeschoben hatte. Immer, wenn so etwas passiert war, hatte ich meine Entschuldigungen abgegeben und geglaubt, dass meine Begründungen angenommen wurden. Bis ich die ernüchternde Ansage der Provinzoberin erhielt, dass ich nicht mehr zum Orden in Chile passte.
Tausende Male hatte ich den Armen in meinem Wohnviertelversprochen, sie nie zu verlassen. Ihre Zweifel aber waren immer geblieben: ob wir, die wir aus der Oberschicht kamen, die wir Ausländerinnen waren, ob wir es bei ihnen aushalten würden. Immer wieder hatten sie mir vorgehalten, wie unwahrscheinlich das sei. Menschen aus unseren Schichten hätten sich noch nie für die Armen engagiert. Dreieinhalb Jahre lang hatte ich versucht, ihnen klarzumachen, dass wir als Kirche bei ihnen bleiben und im Auftrag Jesu unser Leben mit ihnen teilen würden.
Nun aber sitze ich endgültig im Flugzeug und schreie vor Schmerz so laut wie die Turbinen. Eine der Stewardessen denkt, ich sei durchgedreht. Aber ich kann nicht aufhören zu schreien: vor Ohnmacht, vor Wut, vor Angst. Und immer wieder frage ich mich, ob ich in Chile nicht doch alles verkehrt gemacht habe. Es ist unfasslich für mich, dass ich von meinem Orden einfach ausgewiesen wurde. Ich habe die Menschen in den Armenvierteln im Stich gelassen. Alles ist zu Ende.
Im Altmühltal
Pietenfeld. Ein kleines Dorf mit damals 600 Einwohnern. Wenn man über den Berg vom Altmühltal her kommt, liegt das Dorf in einer kleinen Mulde, umgeben von Wäldern und Feldern. In der Mitte des Dorfes ist die Kirche. Neubarock, nicht elegant, sondern fest gebaut. Rund um den Dorfplatz stehen die Bauernhäuser. Und genau gegenüber der Kirche, am anderen Ende des Dorfplatzes, liegt das Großelternhaus: ein altes Jurasteinhaus aus dem 17./18. Jahrhundert. Über dem großen Hauseingang, einer grünen Eichentür, steht „mane nobiscum Domine“. Als Kind habe ich mir das immer angeschaut: „Bleibe bei uns Herr.“ In dieser Zeit war alles unter einem Dach, vorne das große Wohnhaus und gleich anschließend der Pferde- und der Kuhstall. Über den Ställen waren sogar noch Wohnungen.
Dort habe ich gewohnt, zusammen m