: Hans-H. Münch
: Kanon und Auslegungsgemeinschaft Schriftgemäße Theologie im Horizont der Ökumene
: wbg Academic in der Verlag Herder GmbH
: 9783534402687
: 1
: CHF 31.90
:
: Religion/Theologie
: German
: 344
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Schriftgemäße Theologie wird zur Utopie, wenn Bibel-Auslegung keine grundlegenden Übereinstimmungen mehr erkennen lässt. Die relativ jungen historischen Disziplinen alt- und neutestamentlicher Exegese haben sich zwei Jahrhunderte abgearbeitet an der im Zuge der Aufklärung neu entdeckten Pluralität der biblischen Bücher, nun erfolgt eine Rückbesinnung auf die Bedeutung des biblischen Kanons. Besonders das Neue Testament kann so interpretiert werden, dass der Kanon eine plurale Identität der Kirche gewährleistet. Der Autor gibt zunächst einen Überblick über die Entwicklung der Exegese in den westlichen Konfessionen. Anhand zweier Repräsentanten (evang./kath.) einer Schriftauslegung, die sich am Kanon orientiert, zeigt er, dass dieser Ansatz Perspektiven bietet. Der Bezug auf wichtige Dokumente des ökumenischen Gesprächs liefert die Grundlage für einen Entwurf, der Kirche klar als Auslegungsgemeinschaft profiliert und versucht, den Begriff der Schriftgemäßheit neu zu formatieren.

Hans-Hermann Münch (Jg. 1966), Studium der evangelischen Theologie (Basel, Erlangen, Tübingen), Vikariat und Pfarrdienst in der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern, 2018 Sabbatjahr zur Erarbeitung eines Buchprojektes zum Thema Schirftauslegung.

A. Schriftgemäßheit als Aporie der Reformation: Das Schriftprinzip und die Geschichte seiner Krise


I. Die Krise des Schriftprinzips: Zerfall der Kirche in verschiedene Interpretationsgemeinschaften


Der SchweizerUlrich Luz, renommierter deutschsprachiger Neutestamentler und Verfasser des wohl derzeit bedeutendsten Kommentars zum Matthäus-Evangelium1, veröffentlichte im Jahr 2014 eine ausführlicheTheologische Hermeneutik des Neuen Testaments.2 – Den Ausgangspunkt seiner Darlegungen bildet eine ernüchternde Bilanz der Situation der Kirchen, die aus der Reformation hervorgegangen sind:

„Die Zuversicht, welche die Reformatoren in die Klarheit und die Durchsetzungskraft der Schrift setzten, erwies sich […] als voreilig. […] Die Geschichte des Protestantismus ist eine Geschichte von Abweichungen, Spaltungen, andauernden Aufbrüchen neue[r] reformatorischer Bewegungen, welche sich dann institutionalisierten und als Denominationen, Kirchen und Sekten endeten. Sie alle rechtfertigten sich durch ihre Bibelinterpretation.“3

Als ausgewiesener Fachmann für historisch-kritische Schriftauslegung zeigt er die Entwicklung zweier Jahrhunderte auf, während derer „sich dieeine Bibel in eine Bibliothek unterschiedlicher Texte, Quellentexte oder rekonstruierter Texte auflöste. […]

In den Händen der Bibelgelehrten und immer mehr auch der Laien verwandelte sie sich in eine Vielzahl unterschiedlicher Lesemöglichkeiten […]. Die Zahl kirchlicher Interpretationsgemeinschaften vermehrte sich dabei ständig, wobei ihre Integrationskraft mehr und mehr abnahm. […] Viele evangelische Kirchen, die sich traditionell auf die Bibel berufen und die nun mit der Möglichkeit einer schier unbegrenzten Vielfalt in der Schriftinterpretation konfrontiert sind, befinden sich in einem Prozess rapider Selbstauf