: Jörg Osterloh
: »Ausschaltung der Juden und des jüdischen Geistes« Nationalsozialistische Kulturpolitik 1920-1945
: Campus Verlag
: 9783593442686
: 1
: CHF 36.40
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: 20. Jahrhundert (bis 1945)
: German
: 644
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF
Bereits im Februar 1920 forderte die NSDAP den Kampf gegen eine »zersetzende« Kunst und Literatur und den Ausschluss von Juden aus dem Journalistenberuf. Das grundsätzliche Ziel lautete: Alle Juden und alles »Jüdische« sollten aus dem deutschen Kulturleben entfernt werden. Dieses Buch untersucht erstmals systematisch die Ausschaltung der Juden aus Kunst, Musik, Literatur, Theater und Film - von der Gründung der NSDAP bis zur Ermordung jüdischer Künstler im Holocaust. Jörg Osterloh spannt den Bogen von der frühen antijüdischen Propaganda und den ersten Allianzen der NSDAP mit bürgerlich-konservativen Parteien in Stadträten bis zur Umsetzung der kulturpolitischen Ziele der NSDAP in der Regierungsverantwortung, zunächst ab 1930 auf Länder-, schließlich ab 1933 auf Reichsebene. Neben den Institutionen des NS-Staates gilt der Blick auch dem Jüdischen Kulturbund, der arbeitslosen jüdischen Künstlern Auftritts- und Verdienstmöglichkeiten und Darbietungen für ein jüdisches Publikum bot.

Jörg Osterloh, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fritz Bauer Institut in Frankfurt am Main.
Einleitung Am 15. November 1935 erklärte Joseph Goebbels pathetisch, es sei »im Kulturleben unseres Volkes kein Jude mehr tätig«. Man habe aber, so fuhr der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda und Präsident der Reichskulturkammer fort, »den aus dem Kulturleben ausgeschiedenen Juden in großzügigster Weise Möglichkeiten zur Pflege ihres kulturellen Eigenlebens gegeben«. Der Kampf gegen die angebliche »Verjudung« des deutschen Kulturlebens war seit der Gründung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) im Februar 1920 eines ihrer erklärten Ziele. Mit ihren Forderungen standen die Nationalsozialisten aber keineswegs allein, die »Entjudung« der Kultur war eine im deutschvölkischen Milieu gängige Forderung. Das Kulturleben war nach Einschätzung Saul Friedländers »möglicherweise der sensibelste Bereich« der 1871 mit der Gründung des Deutschen Kaiserreichs erlangten rechtlichen Gleichstellung der Juden: Denn die Kultur - vor allem die Musik, die Literatur, das Theater und die bildende Kunst - galt seit dem späten 18. Jahrhundert als das einigende Band der in Einzelstaaten zersplitterten deutschen Nation und als wichtiger Ausdruck von Deutschlands Größe. Den deutschen Juden wurde vorgehalten, dass sie nicht nur in Handel und Bankwesen, sondern auch in den Kulturberufen - etwa als Schriftsteller und Journalisten oder als Schauspieler und Musiker -, gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil, überproportional vertreten seien und verderblichen Einfluss ausübten. Als ein besonders gravierendes Problem machten Antisemiten die vermeintliche »Verjudung« der deutschen Presse aus, die aus ihrer Sicht die Grundlage für die vollständige »Verjudung« des politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Lebens schuf. Die Forderung, endlich wieder »Herr im eigenen Haus« zu werden, war seit dem späten 19. Jahrhundert im Bürgertum weit verbreitet. Diese Situation wurde dadurch weiter verschärft, dass zur gleichen Zeit neue Ausdrucksformen in den Künsten an die Öffentlichkeit traten. Der Begriff der »Moderne« kam um die Jahrhundertwende auf. Er beschrieb nicht nur einen universalgeschichtlichen Epochenbegriff, sondern stand vor allem für »Aktualität, Beschleunigung und Wechsel« in Kunst und Literatur und ihre zunehmende Internationalisierung. Durch den sich daraus ergebenden »Stil- und Formenpluralismus« wurden die Künste unüberschaubar. Zugleich verschwammen die Grenzen zwischen der traditionellen Hochkultur (wie etwa dem Theater, der Oper und der Musik) und der Massenkultur (etwa durch das Kino, die Schallplatte und den Rundfunk), die mit der rasant voranschreitenden Technisierung des Alltags aufgekommen war. Immer größere Teile der Bevölkerung konnten am Kulturleben teilhaben, sodass viele Bildungsbürger sich um den Verlust ihrer »kulturellen Hegemonie« sorgten und Kulturpessimisten wie Paul de Lagarde oder Julius Langbehn Ende des 19. Jahrhunderts den Niedergang der deutschen Kultur beklagten. In den zunehmend erhitzten Debatten war von »deutscher Kunst«, »deutschen Werten«, »deutschem Geist« oder auch »deutscher Art« die Rede. Alles, was den damit verbundenen Ansprüchen nicht genügte, wurde als »undeutsch«, »artfremd« oder auch »entartet« abqualifiziert. Allerdings waren die Begriffe unscharf: Weder war exakt definiert, was etwa »deutsche Kunst« war, noch was der »(kulturellen) Moderne«, die es monolithisch aufgrund der Vielfalt ja auch nicht geben konnte, zuzuordnen war. Entsprechend fließend waren die Übergänge. Auch Werke der Moderne konnten als »deutsch« gelten. Die Ablehnung der Moderne war jedoch keineswegs eine deutsche Erscheinung; auch in Frankreich, England und anderswo kam es zu heftigen Auseinandersetzungen. In Deutschland aber setzten die Antisemiten die Moderne schlechthin, die vielfältigen kulturellen Entwicklungen, die sich von den Traditionen etwa in der bildenden Kunst oder in der Musik abgrenzten, in Beziehung zu »den Juden« und, nach dem Ende des Kaiserreichs, zur als »Judenrepu­blik« geschmähten Weimarer Demokratie. Tatsächlich, so Saul Friedländer, war »der ?verderbliche? Einfluß von Juden auf die deutsche Kultur [...] das meistverbreitete Thema des Antisemitismus von Weimar«. Der noch lauter als zuvor erhobene Vorwurf beklagte eine Verschwörung »der Juden«, die die deutsche Kultur angeblich »zersetzen« wollten. Als geeignete Gegenmaßnahme sahen viele, nicht nur die Nationalsozialisten, die Ausschaltung der Juden aus dem Kulturleben. Übergriffe auf missliebige Künstlerinnen und Künstler - vor allem Juden, aber auch politisch Verfemte - waren in der Weimarer Republik häufig und ihre Zahl nahm seit Ende der 1920er Jahre weiter zu. Eine führende Rolle bei der antijüdischen Hetze spielte der 1929 im Auftrag der NSDAP von Alfred Rosenberg, dem Chefideologen der Partei, gegründete Kampfbund für deutsche Kultur. Dass es sich bei den weitreichenden Forderungen zur »Entjudung« des Kulturlebens nicht um Lippenbekenntnisse handelte, machten die Nationalsozialisten zunächst in Thüringen deutlich, wo die NSDAP im Januar 1930 erstmals in eine Landesregierung eintrat. Der thüringische Nationalsozialist Hans Severus Ziegler schrieb in der Rückschau, man solle sich daran erinnern, wie »wir das Weimarer Schloßmuseum schon von den schlimmsten Auswüchsen der entarteten Kunst säuberten«. Angesichts dieser Entwicklung stellte der Schriftsteller Lion Feuchtwanger 1931 fest: »Was also die Intellektuellen und Künstler zu erwarten haben, wenn erst das Dritte Reich sichtbar errichtet wird, ist klar: Ausrottung.« Feuchtwanger hatte also ganz richtig erkannt, dass die Nationalsozialisten eine große Bedrohung für den freien, kritischen Geist in Deutschland waren - und für die deutschen Juden, wie er selbst seit Mitte der 1920er Jahre mehrfach hatte erleben müssen. Nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 rangen in der Kulturpolitik zunächst unterschiedliche ideologische Strömungen innerhalb der NSDAP und mehrere Parteigrößen miteinander um Einfluss. Neben Alfred Rosenberg waren dies vor allem der kommissarische Preußische Innenminister Hermann Göring, Reichsbildungsminister Bernhard Rust, der Leiter der Deutschen Arbeitsfront (DAF) Robert Ley und Joseph Goebbels. Die kulturpolitisch Verantwortlichen hatten lediglich klare Vorstellungen davon, was und vor allem wen man nicht wollte; in einem Punkt herrschte aber Einigkeit: »Die Juden« sollten »ausgeschaltet« werden. In einem NS-Propagandafilm, der vermutlich im Mai 1933 in die Kinos kam, erklärte Göring: »Ich werde mit eisernem Besen auskehren [...]. Ich werde den Kampf gegen Schmutz führen für die Sauberkeit und die gute deutsche Sitte. Die Städte müssen wieder gesäubert werden von ihren volks- und rassetrennenden Erscheinungen, die durch ihre zersetzende Tätigkeit deutsche Sitten untergraben und das Laster gepredigt« haben. Im selben Film kündigte Goebbels in staatsmännischer Pose an, dass jetzt »der legale Umformungsprozeß des deutschen Volkes in allen Gebieten und in allen Einzelteilen« beginne. »Das, was wir 14 Jahre in der Opposition forderten, das werden und müssen wir nun in der Regierung durchsetzen.« Mehrere Tausend im Kulturleben Tätige gerieten in das Visier der Natio­nalsozialisten, weil sie Juden oder jüdischer Herkunft waren: Schauspieler, Regisseure und Intendanten, Musiker, Sänger und Dirigenten, Schriftsteller und Journalisten. Zu ihnen zählten (teilweise welt-)berühmte Künstler wie der Tenor Richard Tauber, der Dirigent Bruno Walter, der Journalist Kurt Tucholsky, der bereits erwähnte Schriftsteller Lion Feuchtwanger, der Maler Max Liebermann oder der Theaterregisseur und -intendant Max Reinhardt. Neben diesen Prominenten gab es freilich die - erheblich größere - Gruppe der kaum oder gar nicht bekannten jüdischen Kulturschaffenden. Viele waren Angestellte von Theatern, Orchestern oder Verlagen, die meisten aber waren Freiberufler - und hatten daher bereits in der Weimarer Republik unter oftmals prekären Bedingungen gearbeitet. Zahlreiche prominente und vor allem politisch verfemte jüdische Künstlerinnen und Künstler flohen bereits in den ersten Wochen der NS-Herrschaft oder wurden von den Nationalsozialisten brutal aus dem Reich vertrieben. Die Mehrzahl aber blieb zunächst in Deutschland. Wie Goebbels erklärt hatte, verstanden die Nationalsozialisten die »Säuberung« der Kultur als Teil des nationalsozialistischen »Umformungsprozesses« in Deutschland. Die nationalsozialistische Kulturpolitik war damit aber auch Teil der antijüdisch