: Donatella della Porta
: Die schöne neue Demokratie Über das Potenzial sozialer Bewegungen
: Campus Verlag
: 9783593443546
: 1
: CHF 28.30
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: Politische Soziologie
: German
: 254
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF
Über die Krise der Demokratie wurde in den vergangenen Jahren viel geredet. Doch wie geht es weiter? Ist Rettung in Sicht? Donatella della Porta zeigt in ihrem neuen Buch als eine der weltweit besten Kennerinnen sozialer Bewegungen, welche progressive Kraft sie entwickelt haben und auch in Zukunft entwickeln können. Nicht auf die Eliten und die etablierten Parteien ist zu hoffen, wenn es um neue Ideen und Veränderungen geht, sondern auf Bewegungen und Protestformationen, auf Bürgerinnen und Bürger. So sind etwa in Spanien Podemos und in Bolivien Movimiento al Socialismo an die Stelle etablierter Parteien getreten. In Island und Irland wurden Bürgerversammlungen initiiert, die sich an Verfassungsprozessen beteiligten. Diese Beispiele zeigen, dass die Demokratie der ständigen Erneuerung bedarf. Und gerade in Krisenzeiten bieten sich Gelegenheiten für einen Wandel.

Donatella della Porta ist Professorin für Politikwissenschaft und Direktorin des Centre of Social Movement Studies an der Scuola Normale Superiore in Florenz.
Danksagung Dieses Buch beruht auf der Annahme, dass demokratische Konzeptionen und Praktiken ständig überprüft und erneuert werden müssen. In einer Zeit, in der mehrere Krisen gleichzeitig die existierenden Institutionen herausfordern, ist es umso wichtiger, darüber nachzudenken, wie die Demokratie gerettet werden kann. Progressive soziale Bewegungen waren in der Vergangenheit die treibende Kraft einer demokratischen Vertiefung. Sie erarbeiteten und präfigurierten alternative Vorstellungen von Demokratie, Visionen zukünftiger Organisationsformen, die dann häufig in demokratischen Institutionen verankert wurden. Wenn die Demokratie heute von den populistischen Rechten attackiert wird, wird es umso wichtiger zu erforschen, wie die partizipatorische und deliberative Qualität demokratischer Institutionen verbessert werden kann. Im Folgenden werde ich mich mit einigen dieser Ansätze kritisch auseinandersetzen und dabei bestehende Grenzen und mögliche Verbesserungen beleuchten. In diesem Sinn baut das Buch auf einige meiner früheren Beiträge zu verwandten Themen auf und entwickelt diese weiter: In erster Linie sind hier Can Democracy be Saved? (2013) und Social Movements in Times of Crisis. Bringing Capitalism Back into the Analysis of Protest (2015) zu nennen, aber auch Movement Parties against Austerity (2017), Late Neoliberalism and its Discontents in the Economic Crisis. Comparing Social Movements in the European Periphery (2016) und Social Movements and Referendums from Below: Direct Democracy in the Neoliberal Crisis (2017). Ich stütze mich auf ein langfristig angelegtes Forschungsprogramm zur institutionellen Beteiligung progressiver sozialer Bewegungen, das an dem von mir geleiteten Center on Social Movement Studies (Cosmos) an der Scuola Normale Superiore in Florenz angesiedelt ist. Am Cosmos habe ich über partizipatorische Verfassungsprozesse, Referenden »von unten« und über Bewegungsparteien geforscht und dabei eng mit meinen Kolleginnen und Kollegen Daniela Chironi, Lorenzo Cini, Jonas Draege, Andrea Felicetti, Joseba Fernandez, Hara Kouki, Lorenzo Mosca, Francis O'Connor, Martin Portos, Anna Subirats zusammengearbeitet, darüber hinaus mit Colin Crouch, Michael Keating, Ken Roberts und Sidney Tarrow, die unsere hochwillkommenen Gäste waren. Ich bin dankbar für die Unterstützung, die ich von der Hertie School of Governance erhielt, und für Gespräche, die ich während einiger Besuche in Berlin mit dortigen Kollegen führen konnte, unter anderem mit Helmut Anheier, Christian Joerges und Claus Offe. Einige wichtige Anregungen erhielt ich auch anlässlich der Präsentation von Teilen meiner Arbeit auf Seminaren und Konferenzen, besonders im Rahmen der Stein Rokkan Lecture der Joint Sessions of the European Consortium for Political Research in Mons im Jahr 2019. Herbert Reiter hat mir durch seine kritische und konstruktive Lektüre geholfen, den Text zu verbessern und mich mit Geduld unterstützt und begleitet, während ich dieses Buch schrieb. Kapitel 1 Demokratische Erneuerung und soziale Bewegungen Auswirkungen sozialer Bewegungen und demokratische Erneuerung: eine Einleitung Die Große Rezession, die bereits 2008 zu spüren war, markiert einen kritischen Wendepunkt, der sozioökonomische und politische Veränderungen anstieß. Einige davon stellten bürgerliche, politische und soziale Rechte infrage und leiteten Prozesse ein, die als Große Regression definiert wurden (Geiselberger 2017). Eine Spirale aus zunehmender sozialer Ungleichheit und wachsendem Misstrauen gegenüber etablierten Institutionen schürte ein Gefühl der Unsicherheit und ließ fremdenfeindliche Reaktionen aufkeimen (Streeck 2017; Bauman 2017a). Während Wissenschaftler*innen darüber debattieren, wie viel Ungleichheit eine Demokratie aushalten kann, ohne zu scheitern (della Porta/Keating 2018), entwickelt sich auch Widerstand gegen diesen Rückschritt. Bürger*innen mobilisieren sich für soziale Gerechtigkeit und »echte Demokratie« (Meyer/Tarrow 2018). Dieses Buch konzentriert sich auf einige innovative Vorschläge, die von progressiven sozialen Bewegungen entwickelt wurden, um Partizipation und Deliberation zu erhöhen und so die Demokratie zu retten. Sie nutzten die Möglichkeiten der direkten Demokratie, hielten entweder selbst Referenden ab oder infiltrierten Referenden »von unten«, die durch andere Akteure »von oben« initiiert worden waren (della Porta/O'Connor u. a. 2017a). Parteiensysteme wurden dramatisch erschüttert: Etablierte Parteien brachen zusammen, rechte populistische Parteien und - in einigen Fällen - linke Bewegungsparteien erlebten einen unerwarteten Aufschwung (della Porta/Fernandez u. a. 2017). Ähnlich unerwarteten Erfolg hatten Kandidat*innen, die sich innerhalb der alten Linken, wie etwa der Labour-Partei in Großbritannien oder der Demokratischen Partei in den Vereinigten Staaten, verstärkt für soziale Gerechtigkeit und Bürgerbeteiligung einsetzten. Mit Bezug auf diese Entwicklungen weise ich darauf hin, dass Krisenzeiten auch Zeiten raschen Wandels sind, die bestehende Institutionen herausfordern, aber auch Möglichkeiten für eine Vertiefung der Demokratie eröffnen können. Dieses Kapitel stellt mögliche innovative Beiträge der Zivilgesellschaft vor, die in der Demokratietheorie und in verschiedenen Ansätzen der sozialen Bewegungsforschung thematisiert und diskutiert wurden. Bewegungen wurden dabei vor allem als Protestakteure untersucht, die auf der Straße für oder gegen politischen Wandel kämpfen. Die soziale Bewegungsforschung hat aber auch auf ihre Funktion als Träger innovativer Ideen verwiesen, da Bewegungen ständig Gegen-Expertisen und neue Wissensformen erarbeiten und verbreiten. Hierfür sind soziale Bewegungen mit spezifischen ontologischen, epistemologischen und methodologischen Stärken ausgestattet. Dieses Kapitel widmet sich daher den Kanälen, über die Ideen sozialer Bewegungen in Institutionen eindringen, und arbeitet die Bedingungen heraus, die die Entwicklung innovativer Ideen und pluralen Wissens begünstigen (oder behindern). Dem liegt die Annahme zugrunde, dass progressive Bewegungen durch das bereitgestellte alternative Wissen und die Ideenvielfalt zu einer Vertiefung der Demokratie beitragen können. Demokratische Herausforderungen in der Großen Rezession In den Ländern, die von der Finanzkrise am härtesten getroffen wurden, insbesondere in der europäischen Peripherie, stellten Protestwellen die Austeritätspolitik infrage, die nationale Regierungen unter dem starken Druck internationaler Institutionen wie der Europäischen Union (EU), der Europäischen Zentralbank (EZB) und des Internationalen Währungsfonds (IWF) eingeführt hatten. Diese Protestwellen - wie die Indignados oder die Occupy-Bewegungen - widerspiegelten und verstärkten aber auch eine Legitimitätskrise, die durch ein Verhalten ausgelöst wurde, das die Protestierenden als Ausdruck der Kälte und Gleichgültigkeit der politischen Institutionen gegenüber dem Leid ihrer Bürger*innen verstanden (della Porta 2015). Infolge der unterschiedlichen zeitlichen Abläufe und Charakteristika der Finanzkrise sowie der internen politischen Möglichkeiten und Risiken, mit denen sich die sozialen Bewegungen konfrontiert sahen, nahm der Protest in den einzelnen Ländern verschiedene Formen an (della Porta u. a. 2016). Die Große Rezession hatte unmittelbare und oft dramatische politische Auswirkungen auf die »real existierenden Demokratien«, wie Robert Dahl (2000) sie nannte, und besonders auf deren repräsentative Institutionen. Die Krise des Vertrauens in diese Institutionen führte zu Forderungen nach Verfassungsreformen, mit deren Hilfe politische Gemeinschaften neu begründet werden konnten. Die real existierenden Demokratien gerieten unter Druck, wodurch aber auch das Potenzial zur Erneuerung sichtbar wurde. Die vielfältigen Krisen (finanzielle, soziale, politische) verstärkten die Spannungen insbesondere zwischen zwei Lagern in Wissenschaft und Politik. Auf der einen Seite befinden sich diejenigen Wissenschaftler*innen und Politiker*innen, die die Bürger*innen als zu emotional und ungebildet ansehen, um fundierte Entscheidungen zu fällen, und die daher die Notwendigkeit technischer Expertise unterstreichen. Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die einer »Econokratie« vorwerfen, politische Entscheidungen zu treffen, unter dem Deckmantel, diese seien gar nicht politisch, sondern rein technisch (Earle u. a. 2017), und die gleichzeitig die Idee einer »Epistokratie« ablehnen, in der nur die kompetentesten Personen wählen dürfen. Meiner Meinung nach benötigen wir in Demokratien eher mehr als weniger Bürgerbeteiligung. Ausgehend von einer partizipatorischen und delibe