Vorspann
Die vielen Leben der Ingrid B.
Die Kamera hat mir nie Angst gemacht.
Ingrid Bergman[1]
Es mag der Mythos eines einzigen Filmes sein, dessen schwarz-weiße klare Strahlkraft ungebrochen bis in die Gegenwart hineinwirkt und gemeinhin als Erstes mit ihrem Namen verbunden wird:Casablanca (1942).
Diese weltumspannende, zeitlos wirkende Liebesgeschichte um Rick und Ilsa, die sich in den Wirren des Zweiten Weltkriegs in der Stadt an der Nordküste Marokkos wiederbegegnen, hat längt ikonographischen Charakter erlangt. Das tröstliche »Wir haben immer noch Paris« ist ebenso zum allbekannten geflügelten Wort geworden wie »Schau mir in die Augen, Kleines« und nicht zuletzt »Das ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft«.
Herman Hupfelds weltbekannter SongAs Time Goes By, gesungen von Dooley Wilson, ist von einem geradezu globalen Wiedererkennungseffekt.
Casablanca ist in das kollektive Gedächtnis eingegangen.
Ingrid Bergman selbst war über den Erfolg dieses Films – dem zum Zeitpunkt der nicht einfachen Dreharbeiten niemand größere Bedeutung beimaß und der beinahe in dieser Besetzung mit ihr und Humphrey Bogart überhaupt nie gedreht worden wäre –, Zeit ihres Lebens immer sehr verwundert.
»Während der Dreharbeiten hatten wir absolut kein Vertrauen in den Film, weil das Drehbuch so schlecht war. Es wurde ja auch Tag für Tag geschrieben. Nichts daran war klar, und wir wussten überhaupt nicht, wo es hinging. Ich wusste nicht einmal, welchen Mann ich wirklich lieben sollte. Bis zum Schluss wusste also niemand, wie der Film werden würde. Und dann, als alles geschnitten war, nach all den Schwierigkeiten und den Streitereien und dem Umschreiben – da kommt dieser absolut wunderschöne Film dabei heraus«, sagt sie einmal in einem ihrer selteneren Fernsehinterviews derCBC im Jahr 1971, selbst immer noch ganz entgeistert.[2]Man glaubt es ihr.
Ingrid Bergman – Ikone der Kinogeschichte, zeitloser Weltstar, moderne, emanzipierte Weltenbürgerin – ist so viel mehr als nur die blutjunge Protagonistin aus dem WelterfolgCasablanca. Vor allem: Sie hat so viel mehr Filme gedreht, die ihr eher entsprechen, die ihr persönlich wichtiger waren.Intermezzo.Gaslight (Das Haus der Lady Alquist).Dr. Jekyll and Mr.Hyde. Notorious.Cactus Flower (Die Kaktusblüte). Herbstsonate. Die drei wichtigsten Regisseure ihrer fünf Jahrzehnte umspannenden Karriere sind Gustaf Molander, Alfred Hitchcock und Roberto Rossellini.
Alfred Hitchcock hat Ingrid Bergman in dreien seiner Filme besetzt, damit ist sie zusammen mit Grace Kelly die einzige Schauspielerin, die der gewichtigeMaster of Suspense mehrfach wiederholt einsetzt. In den drei Hitchcock-FilmenSpellbound (Ich kämpfe um dich, 1945),Notorious (Berüchtigt, 1946) undUnder Capricorn (Sklavin des Herzens, 1949) ist sie so schön, so einzigartig von der Kamera fotografiert, wie wohl in nahezu keinem anderen ihrer Filme. Bei Hitchcock ist sie anmutig und apart, ist sie verführerisch und verrucht, ist sie Engel und Vamp. Es sind mithin ihre komplexesten Filme.Notorious – in dem sie an der Seite Cary Grants zu sehen ist und Hitchcock mit ihnen beiden den längsten Kuss der Filmgeschichte inszeniert und wider dieUS-Zensur durchsetzt – ist wahrscheinlich Ingrid Bergmans beste darstellerische Leistung, ihr Meisterstück. Hitchcock sah Ingrid Bergman, er erkannte sie. Sie bleiben ein Leben lang Freunde, bis zum Tod Hitchcocks im Jahr 1980, nur zwei Jahre vor ihrem eigenen.
Ingrid Bergman, 1915 als Tochter eines schwedischen Vaters und einer deutschen Mutter in Stockholm geboren, hat es von Anfang an nicht leicht in ihrem Leben. Ihre Mutter, die in Hamburg geborene Friedel Adler, stirbt 1918, da ist die kleine Ingrid gerade einmal zweieinhalb Jahre. Es bleibt ihr nur der Vater Justus. Und auch Justus Bergman stirbt, da ist Ingrid