1. KAPITEL
Caitlin McKenzie rannte die letzten Stufen hinauf und stieß die Tür zum Helipad auf dem Dach des Santa Aelina University Hospitals auf. Vom pechschwarzen Nachthimmel beschirmt, funkelten um sie herum die Lichter von Barcelona. Die sanfte Brise der warmen Mainacht fuhr ihr in die Haare und zupfte ein paar Strähnen aus dem straff gebundenen Pferdeschwanz.
Normalerweise liebte sie diesen Blick auf die Stadt. Die wenigsten wussten, dass sie sich hierherflüchtete, wenn die Belastungen im OP und der Stress des Jobs ihr zusetzten. Von hier aus konnte sie den Blick über die Stadt schweifen lassen, die Silhouette der Sagrada Família bewundern, zum Castell de Montjuïc hinaufsehen, sich dem Meer zuwenden oder manchmal von ihrer schottischen Heimat träumen, wo zweifellos um einiges kühlere Temperaturen herrschten.
Vermutlich würde ihr niemand glauben, aber sie sah Ähnlichkeiten zwischen Glasgow und Barcelona. Beide waren pulsierende, lebhafte Großstädte, in denen sich farbenfrohe Typen tummelten, wo Menschen vieler verschiedener Nationen sich niedergelassen hatten, und fabelhafte Restaurants und Bars einluden, das Leben zu genießen. Allen gemeinsam war eine unbändige Lebensfreude, die Caitlin mit Worten kaum beschreiben konnte.
Barcelona hatte das schottische Mädchen mit einer herzlichen Umarmung aufgenommen, wofür sie immer dankbar sein würde. Natürlich hatte es ein paar Jahre gedauert, hier Fuß zu fassen. Caitlin lernte die Sprache und übernahm aufgrund ihrer Position als Herzchirurgin an diesem Krankenhaus Fälle, die aus ganz Spanien ans Santa Aelina’s gebracht wurden.
Wie dieser hier.
Sie leckte sich die trockenen Lippen und ballte die Hände zu Fäusten, während sie auf die blinkenden Lichter des ankommenden Hubschraubers starrte.
Caitlin konnte nicht glauben, dass sie tatsächlich wieder mit Javier Torres zu tun haben würde. Es war zwölf lange Jahre her. Ihre Haut kribbelte, was nicht daran lag, dass der Heli Luft aufwirbelte.
Nein, es war die Erinnerung an den verboten gut aussehenden Mann mit den dunkelbraunen Augen, neben dem sie morgens aufgewacht war, an seine warme Haut, den kraftvollen Körper. Ihr Magen machte einen Satz abwärts. Während ihres Medizinstudiums in London hatten Javier und sie ständig im Wettstreit gelegen. Sie trieben sich gegenseitig an, entschlossen, über den anderen zu triumphieren. Es war schonungslos und seltsamerweise doch hilfreich gewesen. Caitlin hatte unermüdlich und hart gearbeitet. Im Bewusstsein, dass jemand ihr im Rennen um die besten Plätze, die besten Chancen dicht auf den Fersen war, lief sie zur Höchstform auf.
Ihre Kindheit und Jugend verbrachte sie praktisch mit gesenktem Kopf, um nicht in die Schusslinie ihrer streitsüchtigen Eltern zu geraten, die sie kaum wahrgenommen und erst recht nie ermutigt hatten. Dass ausgerechnet sie die Aufmerksamkeit des attraktiven, wortgewandten jungen Spaniers erregte, kam Caitlin merkwürdig vor. Aber der stellte von Anfang an klar: „Dich behalte ich im Auge. Neben mir bist du der hellste Kopf im Jahrgang. Ich will sichergehen, dass du auch neben mir bleibst und mich nicht überholst“, neckte er sie wenige Tage nach ihrer ersten Begegnung. Und so ging es die nächsten sechs Jahre weiter.
Javier Torres hatte sie wahnsinnig gemacht, sie herausgefordert, infrage gestellt und sich ein paarmal hitzige Diskussionen mit ihr geliefert. Sehr zur Belustigung ihrer Kommilitoninnen und Kommilitonen. Doch er hatte sie immer respektiert – und sie ihn. Nach jedem Examen checkte sie zuerst ihre Punkte, dann Javiers. Er war der Einzige, der es von den Leistungen her mit ihr aufnehmen konnte.
Die Nacht, die sie nach dem Abschluss miteinander verbrachten, war das Ergebnis jahrelang angestauter Anziehung, Erleichterung, Erschöpfung und einiger Flaschen teuren Champagners. Eine Nacht, die Caitlin nie, niemals vergessen würde. Wie er sie mit seinen dunklen Augen angesehen hatte, wie sich seine nackte Haut an ihrer anfühlte. Die Hemmungslosigkeit, zusammen mit der überwältigenden Erfahrung, e