1. KAPITEL
„Komm, Maisie! Strampeln! Du schaffst das!“
Willow Thompson hielt ihre dreijährige Tochter bei den pummeligen Händchen, während Maisie ihr Bestes gab, um sich über Wasser zu halten. Der Strand hinter ihrem Haus war ideal, um schwimmen zu lernen. Die sanft geschwungene Bucht bot Schutz vor hohen Wellen.
Willow hätte auch in einer der Unterkünfte wohnen können, die ihr Arbeitgeber bereitstellte. Sie war Krankenschwester an der Island Clinic, einer hochmodernen Privatklinik, die als erste Adresse für die Reichen und Berühmten dieser Welt galt. Hier konnten sie nicht nur eine erstklassige medizinische Betreuung erwarten, sondern auch den gewohnten Luxus. Das extravagante Ambiente erstreckte sich auch auf die Personalunterkünfte.
Doch sosehr Willow Eleganz genoss, noch wichtiger war ihr die richtige Balance zwischen Arbeit und Privatleben. Das Häuschen in Strandnähe, das sie gemietet hatte, bot ihr und ihrer Tochter die nötige Privatsphäre. Nicht auf dem Klinikgelände zu leben, bedeutete auch, dass sie – und Maisie – mitten ins Inselleben eintauchen konnten. In der Karibik aufzuwachsen, hatte viele Vorteile, und Willow wollte, dass ihre Kleine jeden einzelnen nutzte. Dazu gehörten die Schwimmstunden.
Die meisten Inselkinder konnten schwimmen, noch bevor sie laufen gelernt hatten, aber Willow und Maisie waren erst im letzten Jahr hierhergezogen. Während Maisie im seichten türkisblauen Meer paddelte, beglückwünschte sich Willow zum x-ten Mal, dass sie die trostlose Wohnung im Norden Londons gegen eine sonnenwarme Insel in der Karibik getauscht hatte. In London hätte sie sich Schwimmstunden gar nicht leisten können. Mit ihrem bescheidenen Gehalt als Intensivpflegeschwester und der geringen Summe, die ihre Großmutter für Maisie hinterlassen hatte, konnte sie gerade Miete und Lebensunterhalt bezahlen.
Willow hatte zeitlebens in Islington gewohnt. Ihre Großmutter hatte sie aufgezogen. Und obwohl das Geld immer knapp war, fühlte sie sich nie arm, weil sie wusste, dass ihre Gran sie liebte. Doch als alleinerziehende Mutter litt sie darunter, dass sie Maisie all die kleinen Wünsche abschlagen musste, die den anderen Kindern zu Hause selbstverständlich erfüllt wurden. Schlimmer noch, nachdem sie den ganzen Tag gearbeitet hatte, blieben ihr nur wenige Stunden mit ihrer Tochter, bevor Maisie ins Bett musste. Und sie selbst war so erschöpft, dass sie sich am liebsten neben sie gelegt und bis zum Morgen geschlafen hätte. Aber es war noch genug zu tun, bevor ihr nächster Dienst anfing.
Sie hatte sich so lange ein Kind gewünscht, und nun nagte an ihr das Gefühl, dass Maisies Kindheit im Galopp an ihr vorbeizog. Das Fass zum Überlaufen brachte dann der Tag, als sie Maisie aus der Kita abholte und hörte, dass die Kleine ihr erstes Wort gesprochen hatte. Willow war unendlich traurig, dass sie nicht dabei gewesen war, und am Abend beschloss sie, dass es so nicht weitergehen konnte. Was sie verändern wollte, wusste sie noch nicht genau, aber eins stand fest: Sie wollte ein anderes Leben, nicht den ewig gleichen, frustrierenden Trott im Norden Londons.
Auf Saint Victoria fand sie es. Statt grauer Wolken und Smog leuchtend türkisgrünes Meer und über der Insel ein endlos blauer Himmel. Ihr Haus war klein, aber gemütlich. Wie viele Häuser in der Karibik war es auf Pfählen errichtet, um es bei Überschwemmungen und Wirbelstürmen zu schützen. Sehr zu Maisies Freude führte die Hintertür direkt auf den Strand. Genug Sand zum Spielen, Gezeitentümpel, die erforscht werden wollten, und meilenweit klares, ruhiges Wasser, zum Schwimmen perfekt.
Natürlich musste man schwimmen können, um Letzteres zu genießen. Konzentriert, die Brauen leicht zusammengezogen, strampelte Maisie mit den Beinchen.
Da sie am Strand lebten, musste ihre Tochter so bald wie möglich schwimmen lernen. Leider tauchte das erste Hindernis auf, kaum dass sie damit angefangen hatten. Maisie scheute sich davor, Wasser