1. KAPITEL
Robert Langley betrat das Asherwick General Hospital mit dem guten Gefühl, endlich wieder zu den Helfenden zu gehören und nicht zu denen, die Hilfe brauchten. In den letzten Monaten hatte er erlebt, wie es sich anfühlte, Patient zu sein. Wie es war, mit geplatztem Blinddarm per Hubschrauber evakuiert zu werden. Nach einer Blutvergiftung mit Nierenversagen im Krankenhaus zu liegen und auf Dialyse angewiesen zu sein. Zeitgleich mit seinem Zwillingsbruder Oliver in zwei benachbarten OPs zu liegen, weil sein Bruder ihm eine Niere spendete. Und sich nach der Transplantation bei seinen Eltern zu erholen. Seine Mutter hatte ihn vor lauter Sorge regelrecht in Watte gepackt.
Das letzte halbe Jahr war ziemlich anstrengend gewesen. Rob hatte sich damit abfinden müssen, dass er nie wieder als Freiwilliger für seine Hilfsorganisation würde arbeiten können. Mit nur noch einer funktionierenden Niere war das einfach zu riskant. Und das Bergrettungsteam, bei dem er Mitglied gewesen war, hatte ihm für die Zeit nach seiner Genesung eine zwar neue Aufgabe angeboten – aber am Schreibtisch.
Seit einer gefühlten Ewigkeit war Rob nicht mehr geklettert. Er hatte nichts Riskanteres getan, als mit seinem Zwillingsbruder Schach zu spielen. Und gearbeitet hatte er auch schon seit Monaten nicht mehr – bis auf das eine Mal, als er Ollie vertreten hatte, als medizinischer Betreuer bei einem Benefiz-Radrennen.
Rob sehnte sich nach ein bisschen Normalität. Er wünschte sich sein Leben zurück, sein schönes, abwechslungsreiches, ein wenig hektisches Leben. Den ersten Schritt hatte er am Wochenende gemacht. In der Genesungszeit nach der OP hatte er sich das Haar wachsen lassen, sodass ihm der Pony wie bei seinem Zwillingsbruder in die Augen gefallen war. Doch am Samstagmorgen war er zum Friseur gegangen und hatte sich das Haar wieder ganz kurz schneiden lassen. Seit ein paar Tagen hatte er sich auch nicht mehr rasiert. Und als er an diesem Morgen in den Spiegel sah, blickte ihm endlich wieder sein altes Ich entgegen – und nicht mehr der Patient, der auf andere angewiesen war.
Zwar gab sein Arzt ihm noch kein grünes Licht fürs Klettern, in Teilzeit arbeiten durfte er aber wieder. Daher hatte Rob vorübergehend eine Stelle als Assistenzarzt in der Notaufnahme des Asherwick General Hospital angenommen, für drei Tage in der Woche. Er war unendlich froh, wieder zu arbeiten. Dass ihn hier niemand kannte, war ihm sehr recht: Denn so würde ihn niemand ermahnen, dass er sich nicht überanstrengen solle.
Das würde er ohnehin nicht tun, schließlich wollte er auf keinen Fall einen Rückfall erleiden und wieder ans Bett gefesselt sein. Er freute sich darauf, wieder zuallererst als Arzt wahrgenommen zu werden und nicht als Patient, der sich von einer Nierentransplantation erholte. Er würde wieder den Beruf ausüben, in dem er viele Jahre ausgebildet worden war und für den er großes Talent hatte.
„Hallo! Mit Ihnen habe ich hier gar nicht gerechnet“, sagte plötzlich eine Frau zu ihm.
Rob hatte sie noch nie zuvor gesehen. Und er hätte sich bestimmt an sie erinnert. Sie war zierlich, hatte dunkles Haar im Pixie-Schnitt, große braune Augen, ein herzförmiges Gesicht und einen sinnlichen Mund – sie erinnerte ihn ein bisschen an die junge Audrey Hepburn. Nur dass sie kein kleines Schwarzes trug, sondern einen weißen Arztkittel.
„Dr. Florence Jacobs“ stand auf ihrem Namensschild, sie war also vermutlich eine zukünftige Kollegin.
Bevor Rob etwas erwidern konnte, fragte sie: „Wie geht es denn Ihrer Patientin mit der Varizellen-Pneumonie, mit der Sie vor ein paar Wochen hier waren?“
„Ich glaube, Sie verwechseln mich“, erwiderte er.
Die Frau runzelte die Stirn. „Nein, bestimmt nicht. Das waren Sie – Sie hatten bloß eine andere Frisur.“
Nun vers