1. KAPITEL
Drei Jahre später, Mythelios, Griechenland
Wieder eine schlaflose Nacht.
Die Hitze machte Chris zu schaffen. Obwohl er sich bereits seit Mitte Juli in Griechenland aufhielt, zwei Monate nach dem Erdbeben auf der Insel, hatte er sich noch nicht wieder an die hiesigen Temperaturen gewöhnt. Sein Körper war nach wie vor auf das Klima von Manhattan eingestellt. Und dass Mythelios sich noch von dem Erdbeben erholte, war auch keine große Hilfe.
Das Haus von Chris’ verstorbener Großmutter hatte keine Klimaanlage, und da auf der Insel vieles repariert werden musste, wurden alle Arbeiten aufgeschoben, die nicht absolut notwendig waren.
Die Klimaanlage musste daher warten.
Gähnend öffnete Chris die Tür zu dem kleinen Balkon der hübschen Villa seiner Großmutter. An das Geländer gelehnt, beobachtete er den Sonnenaufgang über dem Ägäischen Meer.
Es war lange her, dass er gesehen hatte, wie die Sonne sich strahlend schön über dem türkisfarbenen Meer seiner Jugend erhob. Seit vielen Jahren hatte er weder Oliven im Garten seiner Großmutter gepflückt, noch war er im Meer geschwommen. Der Garten war mittlerweile überwuchert, doch von der oberen Etage des Hauses aus hatte man einen ungehinderten Blick bis zum Horizont.
Dies war das älteste und am höchsten gelegene der alten Häuser, die in die Klippen von Mythelios gebaut worden waren. Durch das Erdbeben hatte es glücklicherweise nur leichte Schäden davongetragen, während zahlreiche neuere Gebäude schwer beschädigt und teilweise eingestürzt waren.
Seltsam, wie wenig sich hier verändert zu haben schien.
Chris war so lange in den USA gewesen, wo er sich sowohl Frauen als auch seiner Karriere gewidmet hatte, dass er vollkommen vergessen hatte, auch mal innezuhalten und sich zu entspannen. So wie jetzt, als der Duft der Orangenblüten vom Garten zu ihm aufstieg.
In den vergangenen drei Jahren hatte sein Leben in New York vor allem aus ständigen Partys, Frauen und Arbeit bestanden. Wobei sein Beruf das Wichtigste gewesen war. Durch nichts und niemanden hatte Chris sich davon abhalten lassen, der beste Neurochirurg an der Ostküste zu werden.
Nun ja, das stimmte nicht ganz. Eine Sache war ihm in die Quere gekommen – das war der Grund für seine schlaflosen Nächte und seine Rückkehr nach Griechenland.
Er hatte eine lange Reihe von One-Night-Stands gehabt, um über den Verlust der Frau hinwegzukommen, die er wirklich geliebt hatte. Und einer davon hatte dazu geführt, dass Chris Vater eines Babys geworden war. Um seinen Sohn behalten zu können, hatte er dessen Mutter eine horrende Summe Geld gezahlt.
Der kleine Evangelos stand nun im Mittelpunkt seines Lebens. Obwohl Chris sich eine Nanny leisten konnte, hatte sie letzte Nacht freigehabt. Und in diesem Fall war er dann selbst beim Füttern und Windelnwechseln gefordert.
Müde rieb er sich das Gesicht.
Wann war sein Leben so komplett aus den Fugen geraten? Wann war alles so schwierig geworden?
Das wusste er genau: nämlich an dem Tag, als er Naomi verlassen und seinen Beruf über die Liebe gestellt hatte. Er hatte die einzige Frau verlassen, der es jemals gelungen war, die hohen Mauern zu durchbrechen, die er in seinem Inneren aufgebaut hatte.
Nachdem die unglückliche Ehe seiner Eltern kläglich gescheitert war, hatte er sich geschworen, niemals eine eigene Familie zu gründen.
Er hatte Naomi in Nashville zurückgelassen, um seine hochfliegenden Karrierepläne in New York City zu verfolgen. Das Schlimmste daran war, dass sie ihn geliebt hatte und er sie von ihren eigenen beruflichen Zielen abgehalten hatte. Obwohl er nicht imstande gewesen war, ihr das zu geben, was sie sich wünschte, hatte sie seinetwegen trotzdem ein hervorragendes Stellenangebot ausgeschlagen. Noch immer fühlte Chris sich deshalb schuldig.
Er war nicht imstande gewesen, sie zu vergessen. Also hatte er versucht, sich abzulenken, indem