: Heike monogatari Die Erzählung von den Heike
: Reclam Verlag
: 9783159620602
: 1
: CHF 52.30
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: Hauptwerk vor 1945
: German
: 844
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Historische Erzählung, Kriegerepos, Familiensaga, ethisch-moralische Unterweisung, buddhistische Initiationsgeschichte und Monument der japanischen Literatur - all das ist das HEIKE MONOGATARI. Das 'Heike monogatari' ist ein zentrales Werk der mittelalterlichen japanischen Literatur und von größter Bedeutung für die Kulturgeschichte Japans. Vom buddhistischen Zeitgeist geprägt, spiegelt das Epos die politischen Umbrüche des 12. Jahrhunderts wider, als die Macht vom Kaiserhaus und dem Hofadel unwiederbringlich auf den Samurai-Kriegerstand überging. Die 'Erzählung von den Heike' berichtet von Aufstieg, Herrschaft und Niedergang der Schwertadel-Dynastie der Heike, die in spektakulären Schlachten von dem konkurrierenden Geschlecht der Genji vernichtend geschlagen werden. Bildreich und in kraftvoller, vielseitiger Sprache kämpft ein großes Ensemble von Persönlichkeiten unterschiedlicher Sphären in einer sich unaufhaltsam wandelnden Welt um Macht und Würde, ringt mit Verlusten und Schuld. Das Epos beschwört ein ursprüngliches, harmonisches Zusammenspiel von Konfuzianismus, Buddhismus und Shintôismus als Grundlage der japanischen Zivilisation. Anders als die meisten literarischen Werke des europäischen Mittelalters blieb das 'Heike monogatari' über die Jahrhunderte lebendig, und es wird bis heute in der Bildenden Kunst wie auch in Literatur und Popkultur Japans breit rezipiert. »Der Aufstieg und Fall der Heike liest sich wie die Ilias in einer Neufassung von Akira Kurosawa.« Publisher's Weekly

Der Verfasser und genaue Entstehungszeitpunkt des 'Heike monogatari' sind unbekannt. Bis Ende des 13. Jahrhunderts entstanden durch das Zusammenspiel von literarisch gebildeten Hofadligen und wandernden Vortragskünstlern unterschiedliche Versionen. Der als Standardfassung geltende Text von 1371 geht auf den Mönch und Rezitator Akashi Kakuichi zurück. Björn Adelmeier, geb. 1976, studierte Japanologie an der Universität Hamburg und Film an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. An der ersten Übersetzung des 'Heike monogatari' ins Deutsche, die nun vollständig vorliegt, arbeitete er insgesamt sieben Jahre.

Kapitel 5

Giō


Als der Novize-Premier die ganze Welt in seiner Hand zu halten schien, schreckte er weder vor dem Tadel der Öffentlichkeit zurück, noch wurde der Spott der Leute von ihm beachtet, und es kam zu seltsamem Gebaren. In der Hauptstadt hatten damals die Schwestern Giō und Ginyo den Ruf, besonders begabte Shirabyōshi-Tänzerinnen zu sein. Ihre Mutter, Toji, war ebenfalls eine Shirabyōshi-Tänzerin. Der älteren Schwester Giō schenkte Kiyomori seine besondere Zuneigung, und daraufhin wurde auch der jüngeren Schwester Ginyo von aller Welt mit außergewöhnlicher Aufmerksamkeit begegnet. Als der Novize-Premier zudem der Mutter Toji ein herrliches Haus bauen ließ und jeden Monat fünfzehn Tonnen Reis und einhunderttausend Geldstücke schickte, war ihre Freude über den Wohlstand und das Ansehen der Familie unvergleichlich.

Den Shirabyōshi-Tanz gibt es in Japan seit der Regentschaftszeit von Kaiser Toba. Shima-no-senzai und Waka-no-mae hießen die beiden Frauen, welche ihn zuerst aufführten. Weil der Tanz im Hofgewand mit hohem Hofbeamtenhut und silberner Kurzschwertscheide aufgeführt wurde, bekam er den Namen »Männer-Tanz«. Dann ließ man Hut und Schwert irgendwann weg und trug nur noch das schlichte Hofgewand. Seitdem wird er Shirabyōshi genannt.

Als die Shirabyōshi-Tänzerinnen der Hauptstadt hörten, welch ein Glück Giō hatte, empfanden manche Neid, und andere waren eifersüchtig. Die Neidischen sagten: »Giōs Glück ist außergewöhnlich, jede Tänzerin wünscht sich das gleiche. Wenn ich, wie sie, meinem Namen das Zeichen ›Gi‹ hinzufüge, sollte auch mir Glück zuteil werden. Ich will es damit versuchen.« So gab es Frauen, die sich »Gi-ichi«, »Gi-ni«, »Gi-fuku« oder »Gi-toku« nannten. Die Eifersüchtigen aber meinten: »Warum soll ein Name oder ein Schriftzeichen Glück bringen? Es ist doch nichts anderes als das Karma1 eines früheren Lebens«, und so änderten manche ihren Namen nicht.

Drei Jahre vergingen, dann erschien eine weitere begabte Shirabyōshi-Tänzerin. Sie stammte aus der Provinz Kaga, wurde »Buddha«2 genannt und soll sechzehn Jahre alt gewesen sein. In der Hauptstadt meinten Hoch- wie Niedriggestellte, als sie ihr zuschauten: »Wir haben in all den Jahren viele Shirabyōshi-Tänzerinnen erlebt, aber einen derart kunstvollen Tanz gab es noch nicht zu sehen.« Mit derartiger Begeisterung nahm man sie auf. Dann äußerte Frau Buddha eines Tages: »Man sagt, die ganze Welt bewundert mich, doch es ist enttäuschend, vom Novizen-Premier der Heike, welcher heutzutage über großartigen Wohlstand verfügt, nicht eingeladen zu werden. Welche Bedenken sollte es für mich als Tänzerin geben? Ich will ihn ohne Einladung aufsuchen.« Und so sprach sie an der Residenz Nishi-hachijō vor. »Frau Buddha, von der jetzt in der Hauptstadt überall zu hören ist, möchte sich vorstellen«, richtete man dem Novizen-Premier aus. Da wurde er äußerst wütend und sagte: »Was soll das heißen? So eine Tänzerin hat nur auf Einladung hin zu erscheinen. Wie kann sie eigenmächtig auftauchen? Und diese Frau mag sich Göttin oder Buddha nennen; solange Giō hier ist, wird ihr Wunsch wohl kaum in Erfüllung gehen. Sie soll sich auf der Stelle entfernen!«

Als Frau Buddha so schroff abgewiesen fortgehen wollte, sagte Giō zum Novizen-Premier: »Sich ohne Einladung vorzustellen ist für eine Tänzerin doch ganz üblich, außerdem befindet sich diese noch in jugendlichem Alter. Es wäre bedauernswert, wenn man Frau Buddha nun, wo sie sich einmal dazu durchgerungen hat, ihre Aufwartung zu machen, mit schroffen Worten wegschickte. Es würde mir schwerfallen und mich zutiefst beschämen, so etwas mitanzusehen. Wir haben uns derselben Kunst verschrieben, deshalb fühle ich mich betroffen. Sie müssen ja nicht ihrem Tanz zuschauen und ihren Gesang anhören, aber könnte nicht eine Ausnahme gemacht und Frau Buddha zurückgerufen und zumindest empfangen werden, bevor man sie wegschickt? Dafür wäre ich Ihnen zutiefst dankbar.« Der Nov