Kapitel 2
Ann fiel es schwer, den Knopf zu drücken.
Dann holte sie tief Luft, gab sich einen Ruck und tat es doch.
Lange passierte nichts.
»Komm, sie ist wahrscheinlich gar nicht da.« Lottes Stimme zitterte.
Noch mal mochte Ann nicht klingeln. Vielleicht wollte Dennis Mutter einfach in Ruhe gelassen werden.
Als sie sich gerade umgedreht hatten, ging die Tür hinter ihnen auf – sehr langsam. Kaum hatte Renata sie erkannt, schrie sie auf und fing laut an zu weinen. Gleichzeitig wedelte sie einladend mit den Armen. »Lotte! Ann! Ihr beide. Oh Gott, kommt doch rein«, schluchzte sie.
Sie sah fürchterlich aus. Sie musste stundenlang geweint haben. Ihre braunen, schulterlangen Haare waren fettig und ungekämmt. Über ihr orange-gelb gemustertes T-Shirt hatte sie sich eine Strickjacke gezogen, die über und über mit roten Rosen bestickt war. Sie war blass, hatte dunkle Ringe unter den rot geweinten Augen und einen fast schon irren Blick. Man erkannte sie kaum wieder.
Während Ann geschockt stehen blieb, ging Lotte an ihr vorbei und nahm Renata in den Arm. Zusammen standen sie schweigend im Türrahmen.
Lotte und Ann waren früher viel bei Renata und Denni gewesen. Renata hatte ihre Tochter allein großgezogen, mit ein wenig Hilfe ihrer Eltern, die im oberen Stockwerk des Hauses wohnten. Dennis Vater hatte sie sitzengelassen. Er war Monteur gewesen, hatte einen projektbezogenen, zeitlich begrenzten Vertrag in der Region gehabt und war nach ein paar Monaten weitergezogen. Denni hatte ihn nie kennengelernt.
Ihre Mutter war immer froh gewesen, wenn die drei Mädchen Zeit bei ihr verbrachten, bei ihr aßen, übernachteten. Sie versuchte es ihnen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten, so angenehm wie möglich zu machen. Auch, wenn sie nie viel Geld gehabt hatte.
Es war eine tolle Zeit gewesen.
Renatas Weinkrampf verebbte schnell. Man merkte ihr an, dass sie schon zu viele Tränen vergossen hatte. Sie konnte einfach nicht mehr. Erschöpft winkte sie ihre Gäste herein.
Als die drei die Küche betraten, war Ann erstaunt, wie ordentlich es aussah. Sie hatte das absolute Chaos erwartet.
Müde setzte Renata sich auf einen Stuhl. »Es ist schön, euch zu sehen. Denise hätte sich gefreut.« Ihr versagte die Stimme.
»Wir wollten sehen, ob wir etwas für dich tun können«, sagte Lotte.
Still warteten die beiden Freundinnen auf eine Antwort. Ann hatte das Gefühl, die Traurigkeit um sie herum würde den Sauerstoff verdrängen und die Luft immer dicker machen. Irgendwann würde die nicht mehr durch die Öffnungen ihrer Nase, ihres Mundes passen. Sie sah sich selbst, wie sie vom Stuhl sank, auf dem kalten Küchenboden auf der Seite liegen blieb und wie ein sterbender Fisch mit glasigem Blick nach Luft schnappte.
Lass das! Konzentrier dich darauf zu erfahren, was hier los ist.
»Kannst du uns sagen, was passiert ist?« Anns Stimme zitterte.
Renata drückte ihr die Hand. Dann stand sie auf, schenkte jedem ein Glas Wasser ein und reichte Ann ein paar Taschentücher.
»Wenn wir das nur wüssten«, sagte sie und setzte sich wieder. »Am Mittwoch, gegen Mittag, standen plötzlich zwei Polizisten in unserer Filiale. Sie hielten mir den Ausweis von Denise unter die Nase und fragten, ob das meine Tochter sei. Ich war total erschrocken und wusste gar nicht, was ich sagen sollte. Sie baten mich mitzukommen. Es wäre etwas Schreckliches passiert. Denise wäre tot. Danach war alles wie in einem schlechten Film, als wäre man gefangen in einem Albtraum. Ich warte immer noch darauf aufzuwachen.«
Sie schwieg einen Moment.
»Sie meinten, sie hätten ihre … ihre Leiche i