Pure cinema – Kameraerzählungen
Hitchcock ist ein Stummfilmregisseur. Zum einen schon alleine deswegen, da seine Karriere in der Endphase dieses Filmbeginns ins Rollen kam. Zum anderen aber auch, weil er noch in klingenden Kinozeiten den Grundlagen der, wie manche behaupten, einzigen Ära wahrer Filmkunst eng verbunden blieb. Natürlich gibt es da Ton in seinem Werk und weiß er mit diesem gekonnt umzugehen, aber das Fundament des Films, so Hitchcock, sei nun mal das Bild. Damit ist die Geschichte zu erzählen und das Publikum zu ködern. Durch Bilder wird die Illusion kurzzeitig zur ›Realität‹, der Spielrahmen gesteckt und so letztlich auch über Erfolg und Misserfolg der Produktion entschieden. Jene Bilderfolge lag dann auch – da sind alle, die den Briten noch in Aktion erlebten, einer Meinung – lange vor Produktionsbeginn im Kopf des Regisseurs vor.
Der Dreh selbst? Es gab wohl Schöneres. Dreharbeiten bedeuteten immer Abstriche von der perfekten Vorstellung, Toleranz gegenüber einem Beinahe-so-gut-wie-Gewollt, gruselige Abhängigkeit von der Technik oder, noch schlimmer, von den Launen der Natur, und das mag Hitchcock wohl schwergefallen sein. Somit war diesen Unvorhersehbarkeiten zu begegnen und das visuelle Konzept im Vorfeld zu fixieren, weshalb er als einer der ersten Regisseure Szenen, Sequenzen und gelegentlich auch den kompletten Film von Storyboard-Zeichnern skizzieren ließ. Seine Aufmerksamkeit galt der Kontrolle des Bildes, was dann in der Szene noch geredet wurde, war zweit-, möglicherweise auch drittrangig. Als ein Scriptgirl ihn einmal darauf hinwies, dass James Stewart etwas ganz anderes gesagt hätte, als im Drehbuch stehe, meinte Hitchcock lapidar: »Grammatisch war es völlig in Ordnung!« Seine Treue gegenüber den Drehbuchautoren kannte Grenzen. Diese hatten grobe Sprachmuster für seine Bildvisionen zu liefern, waren gut bezahlte Ausbeutungsobjekte, und nicht jeder der Autoren – man denke z.B. an die schwierige Zusammenarbeit mit Raymond Chandler fürSTRANGERS ON A TRAIN – war damit einverstanden. Indes: Star war der Regisseur. Und der wollte Bilder, keine Spracherläuterungen.
»Ich bin ein Lieber von dem echtes Kinema«, formuliert Hitchcock ein wenig schief, als er 1966 in Deutschland weilt, um seinen aktuellen FilmTORN CURTAIN zu bewerben. In einer kuriosen TV-Runde namens »Frankfurter Stammtisch« erläutert er den lauschenden Statisten seine Ästhetik, kramt dafür das in den 20er Jahren gelernte Deutsch hervor und lässt sich bei einem Glas Rheinwein feiern. »Echtes Kinema«, auchreal,true,pure cinema ist ein Platzhalter für die rein von der Kamera und dem Schnitt erzählte Geschichte. Im Grunde also für stummes Kino. Für diese Reinheit des filmischen Erzählens gibt es ausreichend Wirkungsgründe, interessanterweise aber auch eine nicht zu übersehendedeutsche Spur. Denn Hitchcock beginnt unmittelbar mit seinem ersten Auftreten eine Liaison mit dem deutschen Film der 20er Jahre und hält diese bis zu seinem Tod aufrecht.
Das Kino der jungen Weimarer Republik und dessen visuelles Vermitteln von (Erzähl-)Ideen haben ihn, er betonte das stets, stark beeindruckt und geprägt. Man sollte also den deutschen Einfluss auf seine Texte neben manchem amerikanischen und russischen nicht übersehen und dabei insbesondere Fritz Lang eine Schlüsselposition zusprechen. Hitchcock liebte z.B.DER MÜD