: Lea Blumenthal
: Mach's wie die Möwe, scheiß drauf! Wie ich (fast) aufhörte nett zu sein
: Gräfe und Unzer Autorenverlag, ein Imprint von GRÄFE UND UNZER Verlag GmbH
: 9783833886560
: Lebenshilfe Selbstcoaching
: 1
: CHF 13.40
:
: Lebensführung, Persönliche Entwicklung
: German
: 192
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Eigentlich führt Lea Blumenthal ein ausgeglichenes Leben ... wenn da nicht die anderen wären. Vor allem die Kratzbürsten und Krawallmacher, mit denen sie sich andauernd konfrontiert sieht. Denn Lea hat ein ausgesprochenes Bedürfnis nach Harmonie. Konflikte und Meinungsverschiedenheiten sind ihr ein Graus, weshalb sie jeder Provokation aus dem Weg geht und weiterlächelt, selbst wenn sie schon längst explodieren will. Bis sie beschließt: Es reicht! Zusammen mit ihrer Psychologinnenfreundin stellt Lea sich der Harmoniesucht und lernt die Mechanismen in ihrem Unterbewusstsein kennen. Leser*innen entwickeln ganz nebenbei ein Verständnis der eigenen Auslöser und finden Wege, um endlich den Unmut rauszulassen und für sich einzustehen!

Lea Blumenthal wurde 1983 geboren. Sie hat sich lange nicht getraut, mit einem Buch über ihre Harmoniesucht an die Öffentlichkeit zu gehen - aus Sorge vor den Reaktionen. Mittlerweile pfeift sie auf das, was andere von ihr denken könnten, und schreibt, was sie will. Sie lebte einige Jahre in Hamburg, bevor sie mit ihrem Freund und den gemeinsamen Hunden aufs Land zog.

VORWORT


Auf die Plätze, fertig … lächeln! Warum es Menschen gibt, die einfach keine Konflikte führen können


„Fräulein Blumenthal! Na, immerhin erwische ich Sie endlich persönlich.“

Ich stehe in der Tür und mustere das missmutige Gesicht unserer Nachbarin. Frau Pressel hat eigentlich immer etwas zu meckern. Entweder das Wetter passt ihr nicht (wahlweise ist es ihr zu warm, zu kalt, zu feucht, zu trocken oder „zu Hamburg“, die neuen Mieter im Dachgeschoss sind in ihren Augen unzumutbar (zu jung, zu laut, zu vegan), und dass die Stadtwerke schon wieder die Tarife erhöht haben, grenzt an Schikane. Wann immer es mir möglich ist, gehe ich Frau Pressel aus dem Weg. Auch wenn das bedeutet, dass ich drei Minuten in voller Wintermontur hinter der Wohnungstür stehe, während sie die Treppe hinabkommt und dabei jeden Staubkrümel kritisch kommentiert.

Diesmal kann ich nicht hinter der Tür warten, bis sie weg ist. Ich habe sie geöffnet, weil Frau Pressel geklingelt hat, und nun stehe ich hier und mache mich auf alles gefasst.

Ihr Blick richtet sich auf mein Gesicht. Dann wandert er anklagend nach unten, gleich rechts neben unseren Fußabstreifer, wo meine Joggingschuhe stehen. „Das ist kein schöner Anblick“, stellt sie fest und zieht hörbar die Luft durch die Nase ein.

Sie sollten mich mal beim Joggen um die Alster sehen, denke ich,das ist kein schöner Anblick.

Natürlich spreche ich diesen Gedanken nicht aus, sondern lächle Frau Pressel hoffentlich entwaffnend an. Lächeln ist eine Art urzeitlicher Reflex, mit dem mein Gehirn immer dann reagiert, wenn ich mit einem Problem oder einem problemverursachenden Menschen konfrontiert werde – wohl in der Hoffnung, die Stimmung damit zu verbessern. Auch wenn ich mittlerweile weiß, dass ein verkrampftes Dauergrinsen eher zu einer Depression führen kann. Das hat ein Psychologe aus Japan herausgefunden, und als Forscher aus dem Land des kulturell bedingten Perma-Lächelns muss er ja schließlich wissen, wovon er spricht.1

Frau Pressel ist von meinen Bemühungen nicht beeindruckt und lächelt nicht zurück. Stattdessen holt sie noch einmal tief Luft und sagt: „Wenn ich nach einem langen Arbeitstag nach Hause komme, Fräulein Blumenthal, möchte ich nicht von Ih­ren …“, sie zögert, sucht nach dem richtigen Wort, „… abgelatsch­ten, dreckigen Laufschuhen begrüßt werden. Sehen Sie es mir bitte nach.“

Das Lächeln in meinem Gesicht ist immer schwerer zu halten. Ich erwäge, eine Ohnmacht vorzutäuschen. Auch totstellen ziehe ich in Betracht. Es gibt einige Tiere, die so sehr erfolgreich ihr Überleben sichern.

„Außerdem gibt es ein Brandschutzproblem“, fährt sie ungerührt fort, als sie merkt, dass ich zu keiner Reaktion imstande bin. „Wenn es brennen sollte, und ich müsste aus meiner Wohnung flüchten, könnte ich über Ihre Schuhe fallen und mir wer weiß was brechen. Und dann läge ich da im Hausflur, während das Feuer um mich wütet. Sie sehen, das geht so nicht.“

Langsam zerbröselt mir das Lächeln im Gesicht. Vermutlich sieht es gar nicht mehr wie ein Lächeln aus, sondern wie eine Fratze aus einem der Ölschinken Goyas.2 Und sicher dauert es nicht mehr lange, bis die Depression kommt. Schließlich räuspere ich mich leise. „Frau Pressel“, setze ich vorsichtig an,