: Burkhard Liebsch, Werner Stegmaier
: Orientierung und Ander(s)heit Spielräume und Grenzen des Unterscheidens
: Felix Meiner Verlag
: 9783787341542
: 1
: CHF 20.20
:
: 20. und 21. Jahrhundert
: German
: 276
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Dieses Buch erprobt eine neue Form philosophischen Schreibens: In sechs abwechselnd verfassten Kapiteln bringen die beiden Autoren, jeder in differenten Perspektiven und auf seine Weise, die sie gemeinsam berührende Frage zur Sprache: Kann man sich an Alterität, an Andersheit orientieren? Order unterläuft sie auf irritierende Art und Weise unsere Orientierungsbedürfnisse? Jede(r) Andere sei in ihrem bzw. in seinem Anderssein zu achten, so lautet eine verbreitete Forderung, die uns eine verbindliche Orientierung an der Alterität, Verschiedenheit oder Fremdheit Anderer nahegelegt. Darin liegt jedoch auch ein erhebliches Irritationspotenzial. Kann man sich an Anderen als solchen wirklich orientieren, wenn ihr Anderssein unaufhebbar bleibt? Verlangt Letzteres nach Orientierung und bietet es Orientierung, oder muss sich ein auf Orientierung elementar angewiesenes Leben gegen die von unaufhebbarer Alterität ausgehende Irritation durchsetzen? Versprechen nur Unterscheidungen in gewissen Spielräumen und Grenzen von einer Übermacht radikaler, nicht selten verabsolutierter Alterität zu befreien, die andernfalls auf fragwürdige Formen von Unterwerfung und Heteronomie hinauszulaufen droht? Das sind brisante Fragen, deren Bedeutung dieses Buch in einem Dialog zwischen den Verfassern beleuchtet. Es bezieht dabei zwei bislang noch kaum miteinander verknüpfte Diskussionsfelder aufeinander: die differenztheoretisch beschriebene Alterität des Anderen einerseits und durch Weisen des Unterscheidens strukturierte Orientierungen andererseits, ohne die unser Leben schlechterdings nicht auskommt.

Burkhard Liebsch lehrt als apl. Professor praktische Philosophie an der Ruhr-Universität Bochum. Zuletzt hat er veröffentlicht: »Einander ausgesetzt. Der Andere und das Soziale« (zwei Bände, 2018) und (als Herausgeber) »Sensibilität der Gegenwart. Wahrnehmung, Ethik und politische Sensibilisierung im Kontext westlicher Gewaltgeschichte« (Sonderheft 17 der Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, 2018).

EINLEITUNG


Womit auch immer wir in unseren Wahrnehmungen, Vorstellungen und Urteilen zu tun haben, unterscheiden wir oder ist schon unterschieden. Wo nichts unterschieden ist oder nichts sich unterscheidet, kann man sich dazu nicht verhalten. Dann tritt Orientierungslosigkeit ein, die zunächst Irritation, dann Verunsicherung, in bedrohlichen Situationen Angst und, wenn die Angst anhält, Verzweiflung und Depression auslöst. Kennt man sich nicht mehr aus, verstrickt man sich, so Wittgenstein, notorisch in philosophische Probleme.

Doch dahinter könnte selbst ein philosophisches Problem stecken, das auch Wittgenstein nicht mehr gestellt hat. Orientierungsschwierigkeiten werden, wenn sie nicht psychotischer Natur sind, meist rasch bewältigt. Aber wenn Sich-orientieren-Können zunächst einmal Unterscheiden-Können ist, beginnend mit Rechts und Links, Oben und Unten etc. und endend mit grundlegenden philosophischen Unterscheidungen, was heißt dann Unterscheiden? Wie funktioniert es und wodurch ist es möglich? Könnte es selbst ein, wenn nicht sogardas Problem sein? Worin und warum kann es versagen? Wenn wir durch Unterscheiden Wirklichkeit erschließen, wie verbürgt es die Wirklichkeit, die sich dadurch zeigt? Hat die Orientierung durch Unterscheiden Grenzen und wenn ja, wo? Darin, dass wir unvermeidlich individuell, von unseren jeweiligen Orientierungsstandpunkten aus unterscheiden und sich so überall Differenzen auftun? Oder an der Unbegreiflichkeit von Gegebenem schlechthin im Sinne von Hans Blumenberg? Wie gehen aus Unterscheidungen Begriffe hervor? Was sind und was veranlasst Begriffsbildungen? Was geschieht in Situationen, in denen die gewöhnlich gebrauchten Unterscheidungen und Begriffe nicht ausreichen? Wenn Unterscheidungen und Begriffe, um brauchbar zu sein, situationsgerecht sein müssen, gibt es da ein Maß der Situationsgerechtigkeit und der Feinheit des Unterscheidens? Wenn aber Menschen zuletzt unbegreiflich füreinander sind, wird dann jedes Unterscheiden und Begreifen Anderer nicht übergriffig?

Die Risiken des Unterscheidens durch Begriffe und des Übergriffig-Werdens des Begreifens kommen alstheoretisches Problem in Sicht, wo es darum geht, ob man in schwer zu übersehenden Situationen ›die Sache trifft‹. In der herkömmlichen Erkenntnistheorie blieb das jedoch am Rande. Nichtsdestoweniger b