: Ulrich Tadday
: MUSIK-KONZEPTE Sonderband - Josquin des Prez
: edition text + kritik
: 9783967073997
: 1
: CHF 40.40
:
: 20. und 21. Jahrhundert
: German
: 252
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
'Das Buch, das die Zeugnisse für Josquins Ruhm bei den Zeitgenossen und Nachruhm bis ins 17. Jahrhundert systematisch gesammelt und gedeutet hätte, ist', so Ludwig Finscher, 'noch nicht geschrieben, aber die Umrisse des Bildes sind deutlich genug. Josquin war der erste Komponist, der schon die Zeitgenossen als Person interessierte, und er galt spätestens seit den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts unangefochten als der bedeutendste seiner Zeit'. Vor 500 Jahren starb Josquin des Prez (geb. um 1450/55), und noch heute gelten vor allem seine Messen und Messsätze vielen als unerreicht. Aber Josquin ist nicht nur der Messkomponist schlechthin, sondern Schöpfer von Motetten und Chansons. Die Autoren des Sonderbandes nehmen den gesamten Josquin in den Blick und reflektieren seine Werke im Kontext seiner Zeit, und zwar nicht nur im Besonderen der Musikgeschichte, sondern auch im Allgemeinen der Geschichte, der Kunst- und Literaturgeschichte wie der Religions- und Frömmigkeitsgeschichte. & 13; Mit Beiträgen von Esma Cerkovnik, Michael Chizzali, Felix Diergarten, Ludwig Finscher, Guido Heidloff Herzig, Philine Helas, Laurenz Lütteken, Stefan Menzel, Michael Meyer, Gesa zur Nieden, Klaus Pietschmann, Volker Reinhardt, Thomas Schmidt, Nicole Schwindt, Daniel Tiemeyer und Christiane Wiesenfeldt.

Ulrich Tadday, geb. 1963, Studium der Musikpädagogik und Musikwissenschaft, Germanistik und Philosophie an den Universitäten Dortmund und Bochum; Staatsexamina, Promotion und Habilitation; seit 2002 Professor für Historische Musikwissenschaft an der Universität Bremen; seit 2004 Herausgeber der Neuen Folge der 'Musik-Konzepte'.

VOLKER REINHARDT

Josquin des Prez in Italien


Macht, Hof und Kultur in Mailand, Rom und Ferrara

Die Gesetze der Klientel


Die Angaben und Daten zu Josquin des Prez’ Aufenthalten in Italien sind lückenhaft, nicht immer eindeutig und teilweise umstritten.1 Einige Fixpunkte sind gleichwohl durch verlässliche Dokumente gesichert. Auf diese Weise lässt sich trotz aller Lücken und Unsicherheiten aus der Sicht des Historikers zweierlei nachzeichnen: zum einen ein elementares Geflecht aus Patronage und Anstellung, durch das der große Musiker in der Gesellschaft und zumindest partiell auch im politischen Gefüge der Zeit platziert und positioniert ist und durch das seine Relevanz für Selbstdarstellung und Mächtige der Zeit hervortritt, und zum anderen ein Zeithintergrund aus Protagonisten und historischen Ereignissen, vor den dieses Wirken zu stellen ist. Wie des Prez beides wahrnahm und bewertete, wie er darauf reagierte und ob bzw. in welcher Weise er diese Eindrücke als Zeitzeuge in seinem Werk verarbeitete, muss hingegen aus dieser Perspektive reine Spekulation bleiben und kann allenfalls der Musikologie als Deutungsaufgabe überantwortet werden.

In der Forschung unstrittig ist,2 dass Josquin des Prez bei seinem ersten Erscheinen in Italien in den Jahren 1484 und 1485 als Klient des Kardinals Ascanio Maria Sforza auftritt. Wie eng und dauerhaft dieses Verhältnis in den nachfolgenden anderthalb Jahrzehnten danach blieb, darüber gehen die Meinungen aufgrund lückenhafter Überlieferung weit auseinander. Nach Auswertung aller bis heute bekannten Dokumente wird hier davon ausgegangen, dass die damit geschlossene Beziehung zum wechselseitigen Nutzen bis zur Katastrophe des Hauses Sforza in den Jahren 1499/1500 funktional intakt blieb, auch während des Prez’ Tätigkeit an der päpstlichen Kapelle.

Solche Protektion hatte ihren Preis: Der Gefolgsmann (creatura) hatte seinem Protektor (padrone) treue Dienste und Unterstützung in allen Lebenslagen zu leisten und v. a. dessen Rang und Ehre zu vermehren. Alles spricht dafür, dass des Prez diese Aufgaben getreulich wahrgenommen hat. Dass er danach, wie zu vermuten, zum Sieger, König Ludwig XII., überging, der Ascanios Marias Bruder, Herzog Ludovico »il Moro«, stürzte und gefangen nahm, ist nicht als Verstoß gegen das komplexe, schriftlich nie verbindlich fixierte Regelwerk klientelärer Beziehungen zu betrachten – mit dem Untergang des Patrons, der keine Förderung mehr zu liefern vermochte, erloschen auch die Pflichten der »Kreatur«. Des Prez’ Mailänder »Hofgenosse« Leonardo da Vinci hielt es ähnlich; auch er arbeitete später für den Sieger und sandte dem gestürzten Herrscher sogar noch einen hämischen Nachruf hinterher.3

Dass des Prez 1484 auf Kardinal Ascanio Maria Sforza4 setzte, zeugte von intimer Kenntnis der italienischen Politiklandschaft, gepaart mit Risikobereitschaft. Diesem war erst kurz zuvor, im März desselben Jahres, der Purpur verliehen worden, und zwar, wie fast immer in der Regierungszeit Papst Sixtus’ IV. della Rovere (1471–1484), aus rein politischen Opportunitäts-Gründen.5 Der Pontifex stammte aus bescheidenen Verhältnissen einer ligurischen Provinzstadt und hatte es im Franziskanerorden bis zu dessen General gebracht, neben dem Eintritt in die Klientel eines einflussreichenpadrone nahezu der einzig beschreitbare Weg nach oben in einer Zeit, in der sich die Elitenverhältnisse dauerhaft verfestigten. Seine