: Susette Schumann
: Susette Schumann
: Kompetenzen älterer Menschen Lehrbuch zur praktischen Umsetzung des umfassenden Pflegebedürftigkeitsbegriffs, Band 1
: Kohlhammer Verlag
: 9783170359543
: 1
: CHF 15.40
:
: Pflege
: German
: 77
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der Band möchte die Begrifflichkeit 'Kompetenz', die durch die Einführung des umfassenden Pflegebedürftigkeitsbegriffs eine neue Bedeutung erhält, für die Praxis zugänglich machen. Insbesondere vor dem Hintergrund der alternden Gesellschaft bei gleichzeitigem Pflegenotstand, ist es von basaler Bedeutung die Kompetenzen älterer Menschen zu ermitteln, aufzuzeigen und in der pflegerischen Praxis zu berücksichtigen, um Pflegebedürftigen ein möglichst selbständiges Leben zu ermöglichen. Im pflegerischen Alltag fehlt häufig die praktische Umsetzung des Kompetenzbegriffs, weshalb der erste Band der Reihe 'Altenhilfe neu verstehen und umsetzen' Pflegenden die Möglichkeiten der Kompetenzermittlung und -nutzung älterer Menschen aufzeigt.

Susette Schumann, Gesundheits- und Krankenpflegerin, Master of Business Administration Gesundheitsmanagement, tätig in der Fort- und Weiterbildung beim Evangelischen Diakonieverein Berlin-Zehlendorf, stellv. Vorstand der Deutschen Fachgesellschaft Aktivierend-therpeutische Pflege e. V.

2          Die Ressourcen und Kompetenzen aus der Perspektive der älteren Menschen


 

 

 

Sowohl der Begriff der Ressource als auch der Kompetenz findet Berücksichtigung in unserem alltäglichen Sprachgebrauch und wird dort oftmals synonym verwendet. Im Zusammenhang mit der Verwendung beider Begriffe in einem fachlichen Kontext ist dies nicht der Fall. Hier werden Ressourcen und Kompetenzen getrennt voneinander verwendet. Um im weiteren Verlauf Missverständnisse zu vermeiden, erfolgt zuvor eine Begriffsklärung.

Definition Ressourcen

Unter einerRessource wird eine »natürliche Quelle« verstanden, die etwas versorgen soll und für einen bestimmten Zweck nötig ist. Darunter können materielle Ressourcen, wie z. B. Geld verstanden werden, auf die eine Person zurückgreifen kann5 Es können aber auch immaterielle Ressourcen gemeint sein, z. B. das individuelle Können oder das Wissen. Im Rahmen dieses Buches stehen die körperlichen, sozialen, seelischen und geistigen Ressourcen älterer Menschen im Zentrum, wie z. B. ihre Fein- und Grobmotorik, ihr Hör- und Sehvermögen, ihre kognitive Leistungsfähigkeit und seelische Stabilität.

Ressourcenorientierte Pflege

Die Fokussierung auf die individuellen Ressourcen bei älteren Menschen unterstreicht auch eine Veröffentlichung von Wingenfeld und Büscher aus dem Jahr 2017. Zur näheren Erläuterung der zukünftigen pflegerischen Anforderungen an die Ausgestaltung des umfassenden Pflegebedürftigkeitsbegriffes wird von ihnen der Begriff der sog. »ressourcenfördernden Pflege« verwendet (vgl. Wingenfeld/Büscher 2017). Dieses Vorgehen unterstreicht die Bedeutsamkeit der Ressourcen, denn auch der aktuell gültige Pflegebedürftigkeitsbegriff entfaltet seine Wirkung über die ressourcen- und kompetenzorientierte pflegerische Versorgung.

Da der Begriff der Ressourcenorientierung bei Wingenfeld/Büscher unkommentiert und isoliert verwendet wird, soll diese fachliche Lücke als Anregung hier aufgenommen und die Verwendung des Begriffs der »ressourcenfördernden Pflege« für die pflegerische Praxis ausgeführt und anwendbar gemacht werden. Dazu zählen neben der Definition der individuellen Ressourcen, ihre unterschiedlichen Arten und ihre Systematisierung in verschiedene Gruppen.

Definition Kompetenzen

Danach kann der nächste Schritt der Definition und die Klärung der Bedeutung von Kompetenzen für die älteren Menschen erfolgen. Bei Kompetenzen handelt es sich um ein Bündel verschiedener, in ihrer Funktion aufeinander abgestimmte Ressourcen, die es den älteren Menschen erlaubt einfache aber auch komplexe Alltagsaktivitäten auszuführen, um ein für sie normales Leben zu führen, welches am sog. Normalitätsprinzip ausgerichtet ist. Unter dem Normalitätsprinzip ist zu verstehen: eine eigene Alltagsgestaltung nach eigenen Vorstellungen, die Pflege von Kontakten zu Familie und Freunden sowie sinnstiftende Freizeitaktivitäten.

2.1       Die individuellen Ressourcen von älteren Menschen


Es gibt insgesamt fünf verschiedene Gruppen von individuellen Ressourcen bei älteren Menschen:

  Die körperlichen ( Kap. 2.1.1),

  die psychischen ( Kap. 2.1.2),

  die emotionalen ( Kap. 2.1.3),

  die kognitiven ( Kap. 2.1.4) und

  die sozialen Ressourcen ( Kap. 2.1.5).

Alle Ressourcen stehen in einer Wechselbeziehung zueinander und können sich gegenseitig befördern aber ihr nicht Vorhandensein auch behindern. Ergänzt werden können die Auswahl um sog. spirituelle Ressourcen, die in der pflegerischen Versorgung selten Berücksichtigung finden ( Abb. 9).

Abb. 9: Übersicht über die verschiedenen Arten von individuellen Ressourcen beim älteren Menschen

Alle fünf Gruppen der individuellen Ressourcen sind für die selbständige Alltagsbewältigung unabdingbar. Denn jede einzelne Ressource bildet die Grundlage für einzelne Fertigkeiten, die durch ihr abgestimmtes Zusammenspiel die Komplexität von Kompetenzen abbilden und die Bewältigung des Alltags und einem »guten Leben« erst ermöglichen.

Persönliche Unabhängigkeit durch Förderung der Selbstkontrolle

Ein abgestimmtes Zusammenspiel aller Ressourcen führt zur größtmöglichen Selbstkontrolle, die wiederum die Basis für die persönliche Unabhängigkeit von allen Menschen, aber insbesondere von älteren Menschen ist. Für ältere Menschen hat ihre persönliche Unabhängigkeit eine große Bedeutung, da sie oft aus gesundheitlichen und funktionellen Gründen in Gefahr sind diese zu verlieren oder schon einmal verloren hatten und sie sich wieder erarbeitet haben.

2.1.1     Die körperlichen Ressourcen


Funktionale Fertigkeiten

Unter körperlichen Ressourcen sind die funktionalen Fertigkeiten zu verstehen. Sie bilden die Basis für die Erhaltung einer funktionalen Selbstkontrolle, z. B. der ältere Mensch kann seine beiden Beine, Arme und Hände umfänglich nutzen, weil die Fein- und Grobmotorik intakt sind. Die Selbstkontrolle von körperlicher Bewegung und damit Mobilität ermöglicht eine unabhängige Alltagsgestaltung, da daran auch die Selbstkontrolle in der Selbstversorgung, z. B. bei der Körperpflege, bei der Ausscheidung und Ernährung anschließen.

Leitfragen zur Erkundung


Die vorhandenen Ressourcen können am besten im Dialog mit den älteren Menschen herausgefunden werden. Es eignet sich ein Gesprächsauftakt mit einer Leitfrage, die direkt nach Ressourcen fragt.

Ressourcenorientierte Leitfragen könnte sein:

  Was können Sie gut alleine ausführen?

  Was funktioniert gut in Ihrem Alltag?

Die Frage nach den Ressourcen und Kompetenzen ermutigt die älteren Menschen, von ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten zu sprechen. Im zweiten Schritt werden sie von ihren Problemen sprechen oder sie können darauf angesprochen werden. Beide Antworten auf die Leitfragen sollten, wie oben vorgestellt, einen Vergleich der Ist-Situation mit einer angestrebten Soll-Situation ermöglichen.

2.1.2     Die psychischen Ressourcen


Handlungsorientierung

Bei den psychischen Ressourcen handelt es sich um seelische Fähigkeiten oder die seelische Verfassung, z. B. die Fähigkeit zur eigenen Vergebung bei anderen Menschen oder die Handlungsorientierung für die Umsetzung von angestrebten Zielsetzungen.

Psychische Ressourcen können eine Belastung, wie das Angewiesen sein auf die Hilfe anderer Menschen, abmildern oder den Mut wachsen lassen, sich an neuen Herausforderungen des Alltags auszuprobieren und auf den gewünschten Erfolg zu hoffen.

Leitfragen


Um dies herauszufinden, können wiederum Leitfragen gestellt werden. Eine könnte lauten:

  »Welchen Situationen sehen Sie optimistisch entgegen?«,

um herauszufinden, inwieweit ältere Menschen von erfolgsversprechenden eigenen Zielsetzungen berichten. Dazu könnten auch sog. Vermeidungsziele gezählt werden.

Die Leitfrage zur Einschätzung der persönlichen Bereitschaft zur Vergebung könnte lauten:

  Fällt es Ihnen leicht, eigene Fehler zu verzeihen?

Die erste Fragestellung soll dazu beitragen zu erkunden, inwieweit persönliche Zielsetzungen möglich sind, um von einer Ist-Situation zu einem zukünftigen Soll zu gelangen und den Umgang mit möglichen Misserfolgen in Erfahrung bringen.

2.1.3     Die emotionalen Ressourcen


Gefühle und Affekt

Die emotionalen Ressourcen umfassen den gefühlsmäßigen und affektiven Umgang mit persönlichen Missgeschicken oder Verlusten, wie z. B. einer akuten oder chronischen Erkrankung, eines kritischen Lebensereignisses wie einem Sturz oder dem Verlust von körperlichen Fähigkeiten. An die emotionale Ausnahmesituation und Verunsicherung schließen sich in der Regel unterschiedliche Verhaltensstrategien an, die sich als ein aktives oder passives Verhalten der älteren Menschen äußern kann. Dahinter steht eine affektbezogene Bewältigungsstrategie, Erlebnissen mit offen gezeigter Angst, Trauer, Wut oder dem Bedürfnis nach...