: Keller Erich
: Das kontaminierte Museum Das Kunsthaus Zürich und die Sammlung Bührle
: Rotpunktverlag
: 9783858699398
: 1
: CHF 17.90
:
: Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
: German
: 160
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
In der Kunstsammlung des Waffenfabrikanten Emil G. Bührle ist die kriegerische Geschichte des 20. Jahrhunderts gespeichert. Kriegsmaterialexporte an NS-Deutschland und in die Hotspots des Kalten Kriegs hatten ihn zum reichsten Schweizer gemacht. Ausgestattet mit unerschöpflichen Mitteln kaufte er Kunstwerke, die durch Ausplünderung und Vertreibung jüdischer Sammler und Galeristen auf den Kunstmarkt gespült wurden. Über Jahrzehnte schlummerte seine Sammlung in einem Privatmuseum und diente dem Ansehen der Familie Bührle. Nun soll sie im Neubau des Kunsthauses Zürich die Stadt als Kulturmetropole aufwerten. So zumindest die Hoffnung eines Zusammenschlusses verschiedener Akteure aus Politik, Wirtschaft und Museumswelt.
Wie fand die durch Krieg, Vertreibung und Holocaust kontaminierte Sammlung Einzug in ein öffentliches Museum? Der Historiker Erich Keller zeigt in diesem Buch, wie flüchtig Erinnerungskultur ist - und wie stark die Forschungsfreiheit gefährdet wird, wenn sie unter den Druck einer neoliberalen Standortpolitik gerät. Er erklärt, wie historisch belastete Kunst ökonomisch verwertbar gemacht wird und was Provenienzforschung leisten könnte.
Geht es um problematische Provenienzen, ist oft die Rede von 'belasteten' Bildern. Doch Kunstwerke aus dem 19. Jahrhundert wussten nichts von ihrer Zukunft. Was aber wollen die Museen von ihrer Vergangenheit wissen? Debatten um Raubkunst drehen sich nicht um eine entrückte Vergangenheit, sondern stellen Fragen nach politischer Verantwortung in der Gegenwart.

Erich Keller, 1968 geboren, ist promovierter Historiker und Journalist. Er war zwei Jahre lang wissenschaftlicher Mitarbeiter des Forschungsprojekts 'Historische Kontextualisierung der Sammlung Bührle' an der Universität Zürich. 2020 wehrte er sich erfolgreich gegen beschönigende Eingriffe der Bührle-Stiftung und der Stadt Zürich in die Forschungsarbeiten. Er lebt mit seiner Familie in Bern.

1.Die Transformation einer Kunstsammlung


Der Testbetrieb ist beendet. Belüftung, Beleuchtung, Sicherheit – über Monate wurde der Kunsthausneubau auf Herz und Nieren geprüft. Erst danach konnten die Kunstschätze im Milliardenwert ins High-Tech-Museum eingespeist werden. Die wertvollsten Stücke, die nun zu sehen sind, gehören zur Sammlung des 1956 verstorbenen Waffenindustriellen Emil G. Bührle. So kostbar sind diese El Grecos, Rembrandts und Rubens, Cézannes, Monets, Degas und Van Goghs, Matisses, Chagalles, Modiglianis und Picassos, dass man sie nicht versichern kann; die Prämien würden jährlich in die Millionen gehen.

Wie die meisten der im Neubau gezeigten Werke, sind auch die Gemälde der Sammlung Bührle nicht Eigentum des Kunsthauses. Es verwertet ihre Bekanntheit, um die zuletzt etwas versiegten Besucherströme wiederzubeleben. Doch um sie zeigen zu können, ist mehr als ein für den Erhalt der bemalten Leinwände optimales Raumklima und der Sicherheitsstandard eines Banktresors vonnöten. Dafür mussten auch die Geschichte ihrer Herkunft und die der Kriegsgeschäfte, die ihrer Erwerbung ermöglichten, erforscht und erzählbar gemacht werden.

Vor dem Umzug ins Zürcher Kunsthaus lag das Kapital der Sammlung Bührle brach. Die rund zweihundert Gemälde und Skulpturen bestückten über Jahrzehnte eine Backsteinvilla in einem Außenquartier Zürichs; seit dem Frühjahr 1960 diente das Gebäude als Privatmuseum. Die Verbindung zwischen der Familie des Verstorbenen und seiner Kunstsammlung war anfänglich sehr eng. Mit der Zeit aber lockerte sie sich. Immer deutlicher zeichnete sich ein Ungleichgewicht ab, und zwar zwischen dem Nutzen des kleinen Museums als Repräsentationsort und dem stetig anwachsenden Wert seiner Sammlung. Dabei