Die erste Dimension: extra- oder introvertiert?
Wenn du nicht weißt, was ein Extravertierter denkt, hast du nicht zugehört!
Wenn du nicht weißt, was ein Introvertierter denkt, hast du nicht gefragt!
Jack Falt, Psychologe
C. G. Jung beobachtete zwei grundsätzliche Quellen, aus denen ein Mensch seine Energie beziehen kann: aus der Außenwelt oder aus seinem Innenleben. Diese beiden Grundeinstellungen bezeichnete Jung alsExtraversion (außenorientiert) undIntroversion (innenorientiert). Jungs Beobachtungen haben bis heute ihre Gültigkeit – es gibt sehr umfangreiche psychologische Forschungen zum Thema Extra- und Introversion. (Umgangssprachlich sagt man meistens extrOvertiert, aber korrekterweise muss es extrAvertiert heißen. Sie können aber auch gern weiterhin extrovertiert sagen – es ist nicht so wichtig. Ich habe mich nur im Laufe der Zeit so an das extravertiert gewöhnt, dass ich es hier beibehalte.)
Es gibt wenige Menschen, die sehr extra- oder sehr introvertiert sind und viele Abstufungen dazwischen. Manche Menschen liegen auch so ziemlich in der Mitte. Diese nennt man neuerdings »zentrovertiert«. Das Persönlichkeitsmerkmal der Extra- beziehungsweise Introversion ist zu circa 90 Prozent genetisch bestimmt.
Extravertierte benötigen einen hohen Input an äußeren Reizen, um sich stimuliert zu fühlen. Sie tanken Energie aus der Welt und im Kontakt mit Menschen. Sie sind nicht gern allein. Äußere Ruhe kann bei ihnen schnell zu Langeweile und Unterstimulation führen. Extras mögen Aktivitäten und sind oft voller Tatendrang.
Introvertierte beziehen hingegen viel Stimulation aus ihrem Innenleben. Sie reflektieren, lesen, schauen Filme und sind mit ihren inneren Verarbeitungsprozessen beschäftigt. Sie benötigen viel weniger äußeren Input als Extras und fühlen sich schnell überstimuliert. Sie sind zwar auch gern unter Menschen, jedoch benötigen sie zwischendurch äußere Ruhe und inneren Rückzug, um ihre Batterien aufzuladen.
Weil Extra- bzw. Introversion angeboren ist, bleibt nicht viel Raum für »Umerziehung«. Deswegen kann man es schon im Kindesalter beobachten: Ein extravertiertes Kind springt mit beiden Beinen in die Welt – es geht auf den Spielplatz und spielt mit. Es knüpft schnell Kontakt zu anderen, und seine Eltern warnen es häufig, nicht zu vertrauensselig auf jeden Menschen zuzugehen. Das introvertierte Kind beobachtet erst einmal das Geschehen vom Rand aus und spielt dann mit – vielleicht. Die Eltern ermutigen es häufig, mehr auf andere Menschen zuzugehen.
Ein introvertiertes Kind wird man niemals zu einem Draufgänger erziehen können, auch wenn die (extravertierten) Eltern hierfür die besten Vorbilder wären. Ein extravertiertes Kind wird sich niemals still und konzentriert über viele Stunden mit einem Buch beschäftigen, auch dann nicht, wenn seine (introvertierten) Eltern dies mit Hingabe tun. Gerade weil diese Merkmale jedoch genetisch bestimmt sind, kommt es eher selten vor, dass beide Eltern eine andere Ausprägung haben als ihr Kind. Wie bei den anderen Persönlichkeitsmerkmalen, mit denen wir uns noch beschäftigen werden, ist es wichtig festzuhalten:
- Die Merkmale sind angeboren. Man hat sie sich nicht ausgesucht!
- Das eine ist nicht besser oder schlechter als das andere! Beide haben ihre Vor- und Nachteile.
Die Gehirne von Intro- und Extravertierten funktionieren unterschiedlich. Der Sympathikus und der Parasympathikus sind die zwei großen Gegenspieler des vegetativen Nervensystems, also jenes Systems, das automatisch abläuft und nur bedingt zu beeinflussen ist. Der Sympathikus ist sozusagen der Aktivitätsnerv. Er ist auf Leistung ausgerichtet und bereitet den Körper auf Kampf und Flucht vor. Der Parasympathikus ist der Ruhenerv – er sorgt dafür, dass der Körper regeneriert und sich ausruht. Der Botenstoff (Neurotransmitter) des Sympathikus ist Dopamin und jener des Parasympathikus Acetylcholin. Extras werden stärker durch den Sympathikus und Intros stärker durch den Parasympathikus bestimmt. Extras benötigen entsprechend eine höhere Menge an Dopamin, um sich angeregt und stimuliert zu fühlen. Ist ihr Dopaminspiegel zu niedrig, verursacht ihnen das Stress in Form von Langeweile. Sie haben mehr Drang nach »Action« als die Intros. Sie lieben Geselligkeit, Unternehmungen, Events – überhaupt, dass irgendwas passiert. Die Intros reagieren hingegen gereizt, wenn ihr Acetylcholinspiegel zu niedrig ist – wenn sie also zu viel Input und »Action« haben.
Die höhere Dopamin-Ausschüttung der Extras führt auch dazu, dass ihr Belohnungszentrum im Gehirn (Nucleus accumbens) aktiviert ist. Das bedeutet, dass Extras vor allem die Aussicht auf Belohnung in Gang setzt. Ihr Hirn süchtelt nach Kicks. Gutes Essen, Sex, Alkohol, Gewinne, beruflicher Erfolg setzen Dopamin frei, das Extras dringender als Intros für ihr Wohlbefinden benötigen. Um an die ersehnte Belohnung heranzukommen, sind Extras auch bereit, Risiken einzugehen. »No risk, no fun« ist ein typischer Spruch von Extras. Das hat seine Vor- und Nachteile: Einerseits können sie durch ihren Mut zum Risiko viel gewinnen – aber, wenn sie zu unbesonnen handeln, auch viel verlieren. Sie mögen schnelles Handeln. Dies verführt sie jedoch manchmal dazu, sich nur oberflächlich mit den Dingen und Menschen auseinanderzusetzen. Dies in Kombination mit ihrer Risikofreude kann zu fatalen Fehlern führen. Die positive Seite sind ihr Mut und ihre Tatkraft. Dabei sind sie flexibel und anpassungsfähig.
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