HUBERT KNOBLAUCH / MARTINA LÖW
Digitale Mediatisierung und die Re-Figuration der Gesellschaft1
1.Einführung
Es ist kaum zu übersehen, dass sich die Zeitordnung der gegenwärtigen Gesellschaft ändert und wir verschiedene Formen der Beschleunigung des gesellschaftlichen Lebens erfahren (ROSA 2015). So lässt sich z. B. zeigen, dass die Menschen immer schneller und mehr sprechen, weniger schlafen und sich schneller an neue Technologien anpassen (ERIKSEN 2001). Laut Rosa (2015) haben die zeitlichen Strukturen insbesondere durch moderne gesetzliche Regelungen, die Einführung der Sozialfürsorge mit der damit entstehenden Bürokratie, formalisierte Bildungswege sowie Versicherungsund Rentensysteme eine massive Dynamisierung erfahren. Die Reduzierung sozialer Wohlfahrtssysteme und der Ausbreitung postfordistischer Arbeitsorganisation etwa zählen zu den vielen Faktoren, die zu neuen Zeitstrukturen und zur abnehmenden Bedeutung linearerer Geschichtsund Fortschrittskonzeptionen führen.
So deutlich die zeitliche Beschleunigung herausgestellt wurde, so haben doch die räumlichen Veränderungen nicht die entsprechende Aufmerksamkeit erfahren, auch wenn etwa die Komplexitätssteigerungen der Globalisierung sehr beachtet wurden. Zurückzuführen ist die geringere Beachtung der räumlichen Veränderungen auch darauf, dass die Entwicklung einer Raumsoziologie und einer Sozialtheorie des Raumes immer noch zu wünschen übrig lässt (FULLER/LÖW 2017). Obwohl Simmel (1992 [1903]) sowie Durkheim (1965 [1912]) den Raum bereits als soziales Phänomen gefasst haben (ZIELENIEC 2007), wandten sich in der Folge nur wenige Autoren der Entwicklung einer Raumsoziologie zu. Hervorzuheben ist sicherlich Lefebvre (2000 [1974]) oder Jean Rémy (1975), die eine bedeutende Rolle bei der Bearbeitung des Raums als wichtige Basis für das Verständnis von Kapitalismus und Gesellschaft spielten.
Gerade einmal vor rund fünfundzwanzig Jahren setzte dann das ein, was wir als ›Spatial Turn‹ (SOJA 1989; LÖW 2001) oder ›Topografisch‹ oder ›Topologisch Turn‹ bezeichnen (WEIGEL 2002; SCHLÖGEL 2003; DÖRING/THIELMANN 2008). Raum wird seither nicht mehr nur als bloßes Umfeld, begrenzte Territorien oder allein durch den Code von ›hier‹ und ›dort‹ definiert; vielmehr wird Raum nun als eine zentrale soziale Kategorie betrachtet, die auf sozialer Interaktion, Interdependenz und Relationen basiert.
Inspiriert von dieser Raum-Wende lässt sich mittlerweile ein dezidiertes Interesse innerhalb der Sozialforschung erkennen, die gesellschaftliche Dynamik im Hinblick auf Raum und Raumordnung umfassender und präziser zu verstehen. Doch trotz einer Zunahme empirischer Forschung wird Raum in der soziologischen Theorie bisher nur am Rande erörtert (FREHSE 2013; L