: Gaby Hauptmann
: Hängepartie Roman
: Piper Verlag
: 9783492951920
: 1
: CHF 7.30
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 320
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Von Romantik hat Carmen die Nase voll. Er will nur reden - wo ist nur seine Lust auf Sex hin? Carmen versteht David nicht. Oder liegt es an ihr? Die Reise nach New York mit dem jungen Liebhaber ihrer Freundin kommt ihr gerade recht ...Dreist, offenherzig, amüsant - Gaby Hauptmann dreht in ihrem neuen Roman den Spieß um und jagt die Männer!

Gaby Hauptmann, geboren 1957 in Trossingen, lebt als freie Journalistin und Autorin in Allensbach am Bodensee. Ihre Romane »Suche impotenten Mann fürs Leben«, »Nur ein toter Mann ist ein guter Mann«, »Die Lüge im Bett«, »Eine Handvoll Männlichkeit«, »Die Meute der Erben«, »Ein Liebhaber zuviel ist noch zuwenig«, »Fünf-Sterne-Kerle inklusive«, »Hengstparade«, »Yachtfieber«, »Ran an den Mann«, »Nicht schon wieder al dente«, »Rückflug zu verschenken«, »Ticket ins Paradies«, »Hängepartie«, »Liebesnöter«, »Zeig mir was Liebe ist«, » Die Italienerin, die das ganze Dorf in ihr Bett einlud« und »Scheidung nie - nur Mord!« sind Bestseller und wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und erfolgreich verfilmt. Außerdem erschienen die Erzählungsbände »Frauenhand auf Männerpo« und »Das Glück mit den Männern«, ihr ganz persönliches Buch »Mehr davon. Vom Leben und der Lust am Leben«, das Kinderbuch »Rocky der Racker«, die mehrbändigen Jugendbuchreihen »Alexa, die Amazone« und die »Kaya«-Reiterbücher, sowie »Wo die Engel Weihnachten feiern« und die von ihr herausgegebene Anthologie »Gelegenheit macht Liebe«. Zuletzt erschien »Plötzlich Millionärin - nichts wie weg!«. 2019 moderierte Gaby Hauptmann die Runde 'Talk am See' im SWR, in der sie wöchentlich mit Prominenten und Gästen aus der Region zu aktuellen Themen sprach.
Für alle Davids dieser Welt ...   DER FRÜHE WINDSTOSS FÄHRT IN den leichten Stoff und bauscht den Vorhang vor dem offenen Fenster auf. Der Stoff tanzt hin und her und entlässt den Störenfried schließlich mit einem leisen Rascheln ins Zimmer. Mit ihm zieht der Duft nach feuchter Erde und herben Kräutern herein. Carmen zieht ihre leichte Sommerdecke etwas höher. Sie möchte noch nicht aufwachen, sich dem Tag noch nicht stellen. Sie möchte weiterträumen. Träumen ist so schön, so weit weg von allem, was im Büro auf sie wartet. Sie vergräbt den Kopf im Kopfkissen, doch dann dringt der werbende Ruf des Amselmännchens an ihr Ohr, und während sie seinem Gesang lauscht, fängt ihr Gehirn an zu arbeiten und stellt fest, dass Sonntag ist. Carmen hält die Augen geschlossen, aber sie sieht den Morgentau auf dem Gras vor sich, den blauen Lack ihrer Gartenbank und das Amselnest im alten Apfelbaum. Und sie freut sich für die Amselmama, dass ihr Mann so nett um sie wirbt. Es muss früh sein, sagt sie sich. Für einen freien Tag sehr früh. Zu früh. Noch immer hält Carmen ihre Augen geschlossen. Wenn sie sie erst einmal geöffnet hat, wird sie nicht mehr einschlafen können. Vielleicht kann sie die schönen Bilder, die sie in ihrem Kopf hat, in den nächsten Traum einweben. Manchmal kann sie das. Carmen versucht, dem Geruch, den Bildern und dem Vogelgesang eine Geschichte zu geben, irgendetwas, das sie zurück in einen Traum ziehen kann, aber gleichzeitig spürt sie, wie ihre Sinne erwachen und gegen den Schlaf ankämpfen. Sie fühlt ein Kribbeln die weiche Innenseite ihrer Beine heraufziehen und sich mit forderndem Pochen und Ziehen in ihrem Schoß vereinigen. Die pure Lust. Carmen genießt das Gefühl und überlegt, ob sie so früh am Morgen schon hinüberlangen kann, hinüber zu David, dem dieses Pochen und Ziehen gilt. Ihre Hand stiehlt sich auf die andere Seite des Betts, langsam und tastend. Noch immer hält sie die Augen geschlossen. Sie möchte ihn erfühlen, seine bettwarme Nähe, seinen vertrauten Körper. Doch da ist nichts. Da, wo David normalerweise liegt, ertastet ihre Hand nur kaltes Leinen, die Decke sorgfältig zurückgeschlagen. Carmens Augendeckel klappen automatisch hoch, und als sie sich jetzt ruckartig aufsetzt, spürt sie einen Adrenalinstoß, der mit ihrer Lust von eben nichts mehr zu tun hat. So früh, denkt sie. So früh! Wo ist er hin? Was tut er? Ihr Blick wandert zur Uhr. Sieben, sagt ihr Wecker, der sie heute mit seinem kreischenden Hahnenschrei verschont hat. Der Schrei wäre auch nicht nötig gewesen, sie ist auch so hellwach. Und sie fröstelt. Das muss von innen kommen, denkt sie, denn draußen kündigt sich ein traumhafter Sommertag an. Wo ist David? Sie stellt ihre Füße nebeneinander auf die dunkelbraunen Holzdielen, dann steht sie auf. Nackt geht sie um das Bett herum, schaut kurz ins Bad und läuft dann die Treppe hinunter ins Erdgeschoss in die große Wohnhalle, deren offen stehende Terrassentüren direkt in den Garten hinausführen. Sie sieht ihn, aber er hört sie nicht kommen. Schon wieder, denkt sie und spürt, wie ein Gefühl der Verlassenheit in ihr aufsteigt, während sie ihren Schritt verlangsamt und dann betont munter auf ihn zugeht. »Na«, sagt sie, »wächst alles?« David schaut vom Monitor hoch. Im blauen Morgenmantel, den sie ihm vor drei Jahren geschenkt hat, lächelt er sie an und drückt nebenbei seine Zigarette aus. Carmen kann nicht anders, sie zählt vier Kippen. Also sitzt er schon seit gut einer Stunde hier. »Die Farm wächst und gedeiht«, berichtet er. »Dirk hat mir fünf Katzenbabys geschenkt, die haben jetzt auch eine Heimat.« Ihm, der Katzen im wahren Leben überhaupt nicht ausstehen kann. »Schön«, sagt sie. »Kommst du jetzt wieder ins Bett?« David nickt. »Gleich«, sagt er und greift nach seiner Kaffeetasse. »Das eine Feld muss ich noch abernten und die Hühner noch füttern - alles andere habe ich schon erledigt. Dann bringe ich dir einen Kaffee mit.« Eigentlich wollte sie keinen Kaffee. Eigentlich wollte sie ihn. »Ich dachte an ein bisschen Sex«, sagt sie und wirft ihre langen roten Locken nach hinten. Er schaut sie an, und Carmen hat nicht das Gefühl, dass er eine nackte Frau sieht. Was sieht er überhaupt, wenn er sie sieht? »Sex?« Er lacht. »Auch gut. Junge Ferkelchen habe ich auch gekriegt. Von meinem Bruder. Langsam wird die Farm zu voll, ich muss wohl anbauen ...« Carmen schaut ihm zu, wie er seine virtuellen Tiere liebevoll begutachtet, und sieht auf dem Bildschirm die ganze Farm mit den hübschen Farmhäusern und gemütlichen Ecken, die er gebaut und eingerichtet hat. Es gibt Ziehbrunnen und Feuerstellen, Hollywoodschaukeln und Saunahäuschen. Und im wirklichen Leben gibt es sie, Carmen. »Kommst du?« »Ein paar Minuten«, sagt er, und sie schleicht zurück ins Schlafzimmer. Das Ziehen im Bauch wird stärker. Zehn Jahre, denkt sie. Was war das für ein Aufflammen, für ein Begehren, für eine Liebe Tag und Nacht. Wo waren sie nicht überall übereinander hergefallen, konnten die Finger nicht voneinander lassen, waren unmögliche Gäste, weil sie immerzu nur mit sich selbst beschäftigt waren. Was war nur passiert seitdem? Im Bett zieht Carmen die Decke über beide Ohren. Sie möchte nicht darüber nachdenken. Sie möchte diesen frühen Sommertag genießen, noch einmal zurücksinken in das Gefühl des anbrechenden Morgens, der stürmischen Liebe zwischen Tau und erstem Sonnenstrahl. Seufzend tastet sie unter der Decke nach unten.   Als David mit zwei Tassen Kaffee kommt, verbreitet er mit seiner dicken Zeitung unter dem Arm genau die Stimmung, die Carmen früher so an ihm geliebt hat. Gemütliches Aufwachen im Bett, Kaffee trinken, Croissants essen, Zeitungen aufschlagen, sich gegenseitig etwas vorlesen, diskutieren, lachen, lieben. Aber in letzter Zeit hat sich das Morgenritual verändert. David reicht Carmen die Kaffeetasse, sodass der lockere Milchschaum fast überschwappt, zieht seinen Bademantel aus und legt sich mit der Zeitung auf seine Seite, den Rücken ans Kopfende gelehnt. Carmen überlegt kurz, stellt die Tasse ab, dann kuschelt sie sich an ihn heran. »Schon wieder wurde ein Bauprojekt abgelehnt«, sagt er und tippt mit dem Finger auf eine Stelle im Lokalteil. »Ach ja?« Carmen schaut ihn an. Er ist noch immer der Mann, den sie haben will, den sie liebt. Seine türkisfarbenen Augen haben sie damals in ihren Bann gezogen und tun es noch heute. Nur heute lesen sie voller Hingabe einen Artikel über das städtische Bauamt und haben keinen Blick für sie. Und Carmen denkt zum ersten Mal darüber nach, ob er sie plötzlich unattraktiv finden könnte. Gut, sie ist zehn Jahre älter geworden, er aber schließlich auch. Und ihr Spiegelbild stellt sie noch immer zufrieden, obwohl sie mit fünfundvierzig Jahren den einen oder anderen Abstrich machen muss. Dafür hat sie an Lebensqualität, an innerer Sicherheit und an Esprit gewonnen. Und eigentlich, so hat sie bis vor Kurzem noch gedacht, lebt sie ein rundherum erfülltes Leben. Bis David damit anfing, immer später ins Bett zu kommen und immer früher aufzustehen. Wo schläft er überhaupt? In seinem Büro? Gut, Architektur ist ein schwieriges Handwerk geworden. Es gibt zu viele Architekten und zu wenige lukrative Aufträge. Zudem vergällen einem Bauherren, die von Anfang an auf abzugsfähige Fehler sinnen, die Freude am Beruf. David ist Mitte vierzig und spürt, dass er nicht der Macher ist, der die Architekturwelt erobern wird. Er ist keiner, der auf andere zugeht. Er hat das Kämpfen nicht gelernt. Immer sind da andere gewesen, die ihm den Weg geebnet haben. Und sie haben ihn darin bestätigt, dass er nur warten muss, bis alles von allein passiert. Aber jetzt passiert nichts, und es kommt kein Auftrag. Carmen hört ihm zu, wie er mit verächtlicher Stimme eine kurze Passage vorliest, und gibt es auf, an Sex zu denken. Vielleicht ist es eine Art Midlife-Crisis, überlegt sie. Vielleicht hat es gar nichts mit ihr zu tun, sondern umgibt ihn wie eine Mauer, über die er nicht mehr hinwegkann. Oder will. Kann sie ihm helfen? Soll sie ihn darauf ansprechen? Sie sieht im Reiseteil einen Artikel über japanische Liebeshotels. »Würde dich das anmachen?«, fragt sie. »Ein Hotelzimmer, das eine reine Sexspielwiese ist?« Er schaut kurz darauf und schüttelt dann den Kopf. »Nein«, sagt er. »Wieso? Braucht man das?« »Vielleicht mal zur Abwechslung«, meint sie und fragt sich, welche Abwechslung eigentlich? Aber er ist mit seinen Gedanken schon wieder woanders.   Den ganzen Sonntag über beschäftigt sie diese Frage. Es ist wie verhext. Selbst als er sie am Nachmittag fragt, ob sie mit ihm am See entlangjoggen will, denkt sie sofort an Glückshormone und dass eine entsprechende Endorphinausschüttung Wunder wirken könnte. Sie sieht sich schon im Wald mit ihm, leidenschaftlich an einen Baum gelehnt oder am Seeufer gebückt hinter dichtem Schilf. Ihre Phantasie kennt keine Grenzen, und je mehr sie träumt, umso aufgeregter pulsiert es zwischen ihren Beinen. Der Waldweg ist wunderschön, besonders jetzt im Sommer, wenn sich Licht und Schatten abwechseln und der kleine See voller Leben ist. Und er ist noch immer ein Geheimtipp, sodass nur wenige Spaziergänger und Jogger unterwegs sind. Carmen atmet tief durch. »Das ist eine gute Idee«, sagt sie und spürt, wie sich ihre Nerven beruhigen und sie sich auf die körperliche Anstrengung freut. Die spätere Ausgeglichenheit ist der Lohn, denkt sie, das gute Gefühl, etwas getan zu haben. »Und nachher ein Pils«, lacht David. Auch sie muss lächeln. Seine jungenhafte Art fasziniert sie immer wieder aufs Neue. »Und einen Wurstsalat«, fügt sie an, und dann laufen sie gemeinsam los. Erst langsames Einlaufen, dann schneller, normalerweise laufen sie im gleichen Tempo. Aber heute läuft David, als wäre der Teufel hinter ihm her. Carmen, die regelmäßig trainiert und eine gute Ausdauer hat, verliert ihren Rhythmus. Nach zwanzig Minuten bekommt sie heftiges Seitenstechen und bleibt gekrümmt stehen. David bemerkt es erst nach ein paar Metern und kommt mit fragendem Gesichtsausdruck zurückgetrabt. »Was ist?« »Du bist heute schneller als sonst.« Carmen versucht ihre Atmung zu regulieren. »Ich habe Seitenstechen!« »Hm.« David betrachtet sie. »Schlecht!« Carmen nickt. »Das ist mir gar nicht aufgefallen«, sagt er. »Tut mir leid!« Carmen nickt erneut. »Geht's besser?« Carmen wiegt sich prüfend in der Hüfte und schüttelt dann den Kopf. »Lass uns einfach ein paar Meter gehen.« David nickt, rührt sich aber nicht von der Stelle. »Philipp hat den Auftrag an Holzer& Partner gegeben«, sagt er unvermittelt und kickt mit der Fußspitze einen Ast weg. Das muss wehtun. Mit Philipp ist er seit seiner Kindheit befreundet. Dass ihm dieser alte Freund seinen Umbau nicht zutraut, wird David sicherlich getroffen haben. »Oh!« Carmen greift spontan nach seiner Hand. »Und warum nicht?« »Ich habe ihn nicht gefragt.« »Du hast ihn nicht gefragt?« »Wenn er es mir hätte sagen wollen, hätte er es mir gesagt.« »Und du willst ihn auch nicht fragen?« »Wenn er es mir nicht sagen will, brauch ich ihn auch nicht zu fragen.« Carmen überlegt. »Aber vielleicht ist es nur ein Missverständnis? Vielleicht bist du zu teuer? Vielleicht könnt ihr euch doch einigen?« David schüttelt langsam den Kopf, entzieht Carmen seine Hand und geht voran. Carmen, die Hand in ihre Hüfte gestützt, folgt ihm. »Da gibt es nichts zu einigen«, sagt David und wirft ihr einen Blick zu. »Geht's wieder?« Carmen ist wie vor den Kopf geschlagen. Warum ruft er Philipp nicht an und klärt das Ganze? Vierzig Jahre kennen sie sich, da wird man doch einmal eine Frage stellen können, ohne dass eine Freundschaft daran zerbricht. Was wäre so eine alte Freundschaft sonst wert? »Meinst du nicht ...«, beginnt sie wieder, aber David trabt schon wieder locker an. »Das verstehst du nicht«, sagt er über die Schulter. Nein, denkt Carmen und läuft ebenfalls wieder los, das verstehe ich wirklich nicht.   Ihr Versicherungsbüro in der Altstadt hat Carmen in den vergangenen zehn Jahren gut ausgebaut, und ihr Fels in der Brandung, Britta Berger, hat sich in dieser Zeit zu einer wichtigen und loyalen Mitarbeiterin entwickelt, die jeden Kunden und jeden Aktenordner kennt. Und nicht zuletzt auch die Stimmungen ihrer Chefin. Als Carmen am Montagmorgen hereinkommt, fragt Britta sie gleich, ob sie einen Cappuccino möchte. Carmen setzt sich hin. »Sieht man mir das an?« »Mann nicht, aber ich schon.« Britta zeigt ein leichtes Lächeln, und Carmen ist fast versucht, sie zu fragen, ob in ihrer Partnerschaft noch alles stimmt. Aber sie will jetzt nicht irgendwelche ùemen aufbringen, zu denen sie sich selbst nicht äußern möchte. Britta geht in den kleinen Nebenraum, und Carmen hört, wie sie einen Kaffeepad auswechselt. Dann faucht die Kaffeemaschine. Warum hat ein Kaffee immer etwas so Tröstliches