»GESTATTEN SIE? WALTER GROPIUS, REBELLENARCHITEKT.«
Vor dem Portal warteten natürlich keine Seifenkisten, sondern der Chauffeur der Stadt Hannover in seiner mausgrauen Mercedes-Benz-Limousine. Beim Anblick des Referenten sprang er aus dem Wagen und öffnete Gropius und den jungen Damen den hinteren rechten Schlag. Sie stiegen alle drei auf die Rückbank und die Fahrt ging los, unter den duftenden Lindenalleen der Nienburger Straße hindurch bis zum Ende des Welfengartens, auf’s Leibnizufer und an der Leine entlang Richtung Altstadt. Beim vierspurigen Friedrichswall angekommen fuhr der Wagen eine Linkskurve, die Georgstraße hinauf und hielt an der Kreuzung des Theaterplatzes, vor dem Café Kröpcke.
»Die Damen begleiten mich doch?«, fragte Gropius jetzt, und Ise fiel auf, dass er die ganze Fahrt lang geschwiegen hatte.
War er verärgert über die Flucht des gesamten Professorenkollegiums? Oder hatte er, durch die Fragen aufgehalten, seinen Zug verpasst und musste im Kopf einen neuen Heimfahrplan schmieden?
»Mein Zug nach Berlin geht erst um Viertel vor neun, das ließe uns Zeit für ein Glas.«
»Keiner begleitet Sie zum Bahnhof?« Lise war fassungslos.
»Von den Herren Professoren?«
Er kräuselte säuerlich den Mund, dann lachte er laut, ein kurzes Lachen, das aufgesetzt wirkte. »Nein, nach Hannover eingeladen hat mich ja Ihr Oberbürgermeister Leinert, nicht die Hochschule. Wir waren Mittagessen, ein aufgeschlossener Mann! Das Gegenteil Ihres Rektors, möchte man meinen … Doch hat er bei der anhaltenden Putschfreudigkeit rund um den Ruhrkampf gerade keinen leichten Stand.«
Jetzt schien er sich zu besinnen, dass sie alle drei einander noch nicht vorgestellt, sondern nur wie alte Freunde aus dem Festsaal-Tumult geflüchtet waren, also setzte er sich gerade auf die Sitzbank und richtete in Sekundenschnelle mit einer präzisen Bewegung beider Hände seine Fliege.
»Gestatten Sie? Walter Gropius, Rebellenarchitekt«, sagte er mit dem Augenrollen des Seifenkistenjungen von vorhin. Er gab erst Lise, die neben ihm in der Mitte saß, einen Handkuss, dann beugte er sich zu Ise herüber.
Komisch konnte er sein, dieser Mann mit dem herben Zug um den Mund!
»Ise Frank«, sagte Ise, »ich bin gar nicht vom Fach, also keinFan, tut mir leid, aber meine Freundin hier …«
»Lise Schmieden«, sagte Lise, sonst nichts.
Sie ließ den Namen wirken.
Gerade als Gropius »Ach« sagte, öffnete der Chauffeur auf Ises Seite den Schlag, und sie stiegen alle der Reihe nach aus dem Fond des Wagens aus. Gropius verabschiedete sich vom Fahrer, er werde von hier zu Fuß zum Bahnhof gehen, er lasse den Herrn Oberbürgermeister nochmals grüßen und ihm danken. Der Chauffeur salutierte, stieg wieder ein und fuhr den Wagen an. Passanten blieben stehen und schauten, die Limousine des Bürgermeisters, überhaupt jedes auf Hochglanz polierte Automobil erregte in der kleinen Stadt Hannover augenscheinlich immer noch ein gewisses Aufsehen. In Berlin, dachte Ise, wo inzwischen Zehntausende Kraftfahrzeuge registriert waren, war ein Serien-Mercedes keinen Blick mehr wert. Vor dem Adlon konnten zehn Limousinen mit den exotischsten Nummernschildern und verrücktesten Ausstattungen stehen und keiner sah sich mehr nach ihnen um.
Adolphe, der Chefkellner des Kröpcke, sprach Lise, als die drei ins Café eintraten, mit der gewohnten »Guten-Abend-das-schöne-Fräulein«-Begrüßung an, die Ise nur allzu gut kannte. Hier war der Herr Gropius aus Berlin nur ein Statist, und die Hauptrolle spielte Lise, die sich in den vergangenen Monaten ihres Gastsemesters in Hannover sozusagen im Kröpcke eingemietet hatte. Adolphe nahm allen die Staubmäntel ab, brachte dann aber keine Karte, sondern fragte: »Das Übliche, Mademoiselle?«
»Mir ein Bier«, sagte Gropius trocken. Er war jetzt, wo die Bauhaus-Verkaufsveranstaltung vor