„Ich bin’s, Isolde“, sagte eine Stimme am Telefon.
Sylvie war bis zum Apparat in der dunkelsten Ecke der Küche gelaufen, sie war allein im alten Bauernhaus und schrieb auf der Längslaube. Es war noch nicht wirklich warm für April und ziemlich windig.
Von den wilden Kirschen, die über dem Bachgrund blühten, wehten Birken und Haseln in hellgrünen Büscheln den Haselweg hinauf.
Sylvie hielt den Hörer in der Hand und wartete, etwas atemlos noch. Das Haus war groß und die Wege lang. Wer rief da an? Wer kannte diese nie gebrauchte Telefonnummer?
Eine alte, kurze Nummer, vier Zahlen nur, sicher aus der Zeit, als die Häuser hier im Dorf noch ihre Flurnamen, keine Straßennamen trugen.
Was sollte sie sagen?
Sie war ja nicht zuhause hier, nur zu Gast in Österreich, dem Sommerfrischeland, einer wacklig in Seen dümpelnden Operettenbühne, auf der die Heldentaten eines untergegangenen Kaiserreichs und einer visionär sich selbst zersetzenden Jahrhundertwende inszeniert wurden,in memoriam, Sommer für Sommer, seit über hundert Jahren. Ein Land, das sich in der Vertuschung seines Schon-lange-nicht-mehr-Weltmacht-Komplexes nicht geheuer war – noch heute schwebte K.-u.-k.-Nostalgie wie Topfenstrudelduft durch jeden Wiener Innenhof. Das seine sich dann selbst gehauenen braunen Flecken nie geheilt hatte und das doch aufgebrochen war in tolerante Offenheit, in ein Den-Anderen-und-das-Andere-leben-Lassen.
Sylvie war gerne hier.
„Ich bin’s, Isolde“, sagte die Stimme noch einmal.
Was sollte Sylvie antworten?
„Hier bei Breil“, konnte sie nicht sagen, das stimmte nicht mehr, Teds Mutter und deren Mann, die hier dreißig Jahre lang gewohnt hatten, waren im vergangenen Jahr gestorben.
„Hier bei Ted Tessenow“, der dieses heruntergekommene Anwesen samt seiner Schulden und Tücken für seine Mutter übernommen hatte, kam ihr zu privat vor.
Sie musste irgendetwas antworten, jetzt, wo sie den Hörer abgehoben hatte, also sagte sie:
„Sylvie Vaughan.“
„Isolde Schwartz.“
Die Stimme machte ihren eigenen Tonfall nach. Das war komisch, Sylvie musste unweigerlich lächeln. „Isolde Schwartz? Aus München?“
„Ja, ebendiese. Sie erinnern sich, Sylvie? Das Symposium in Boston letzten Monat zu, Macht oder Tod‘. Sie haben aus Ihrem neuesten Text über den Tod gelesen. Wunderbar, ich zitiere Sie seither ständig. Ich bin Edith Zuckermanns Philosophen-Kollegin, die, die über, Ethos der Macht‘ sprach.“
Die große Schwartz, hier an diesem Telefon!
Die einzige und letzte Romano-Guardini-Schülerin, die nach seinem Tod den Lehrstuhl in München übernommen und seine Lehre von kirchlicher Unterwürfigkeit gesäubert, radikal gültig gemacht hatte.
„Still werden, mitten darin“, wie oft hatte sich Sylvie diese Guardini-