: José Falero
: Supermarkt Roman
: Hoffmann und Campe Verlag
: 9783455016635
: 1
: CHF 18.10
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 320
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
 Eine stimmgewaltige, elektrisierende Geschichte über soziale Ungerechtigkeit und städtische Gewalt,  ein moderner Schelmenroman über den  Aufstieg und Fall zweier Männer und ihrer Familien aus dem Nichts.   Porto Alegre, heute: Das Leben ist hart. Tag für Tag schleppen sich Pedro und Marques in den Supermarkt in den rauen Favelas. Sie schuften und rackern und leben trotzdem nur von der Hand in den Mund. Sie haben die Schnauze voll. Warum geht es so vielen Leuten besser als ihnen?   Weil sie ein paar Dealer kennen und die Möglichkeit sehen, sich etwas dazuzuverdienen, verticken sie bald kleine Mengen Gras.  Fast  unmerklich  bauen sie ein florierendes Unternehmen auf.  Aber mit den steigenden Umsätzen werden der Witz und der Charme, mit denen sie anfingen, zu Gewalt und Einschüchterung. Die sorgfältig organisierte Welt bekommt Risse, bevor sie in einem letzten, tödlichen Showdown untergeht. 

José Falero wurde 1987 in Porto Alegre geboren, wo er auch heute lebt. Er hat als Maurergeselle gearbeitet und bereits eine Sammlung von Kurzgeschichten über das Leben der ärmeren Bevölkerung im Süden Brasiliens veröffentlicht. All seine Texte durchzieht eine Mischung aus lyrischem Storytelling, sozialer Beobachtung, meisterlicher Dialoge und einem unglaublichen Gespür für die Alltagssprache seines Personals. Supermarkt ist sein erster Roman, er war nach Erscheinen 2020 der literarische Überraschungserfolg Brasiliens und hat sich bisher über 30.000-mal verkauft.

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Eine unerfreuliche Angelegenheit


»Nee, wirklich,tchê? Ist ja unfassbar!«

Das Handy, in das Senhor Geraldo sprach, war definitiv nicht für seine riesigen Pranken gemacht. Er hatte nicht weniger als fünf Versuche gebraucht, um die Nummer seines Chefs in die winzigen Tasten zu tippen. Als er Senhor Amauri endlich am Apparat hatte, schien er kaum glauben zu können, dass der andere ihn hörte, so laut brüllte er jedes Wort.

»Gut, aber deswegen habe ich nicht angerufen.« Er lachte. »Eigentlich wollte ich fragen, ob wir uns nicht vielleicht zum Mittagessen treffen könnten, um eine … ähm … sagen wir, unerfreuliche Angelegenheit zu besprechen.«

Jedes einzelne Detail, vom lockeren Tonfall bis zur indirekten Frage, alles hatte Senhor Geraldo genauestens durchdacht und außerdem drei- oder viermal geprobt, um zu hören, wie es klang. Besser als jeder andere wusste er, dass Senhor Amauri als Chef der Fênix-Supermarktkette ständig einen Haufen Probleme zu lösen und deswegen praktisch nie Zeit hatte, weshalb er unerwartete Einladungen nicht schätzte, selbst wenn sie von seinem engagiertesten und kompetentesten Manager kamen, was Senhor Geraldo in der Tat war, und sie darüber hinaus gut befreundet waren.

Tatsächlich war sein Chef verärgert.

»Hör zu, Geraldo, was auch immer für Probleme du in deinem Laden hast, du bist befugt, sie selbst zu lösen. Um ehrlich zu sein, du bist nicht nur befugt, sondern sogarverpflichtet, sie selbst zu lösen. Du bist schließlich der Manager. Oder nicht?«

»Doch, ja, natürlich, aber …« Senhor Geraldo räusperte sich. Obwohl er davon ausgegangen war, dass sein Chef nicht begeistert sein würde, hatte er nicht mit einer derart vehementen Ablehnung gerechnet. »Hör mal,tchê, wenn du es genau wissen willst, ich bin nicht unbedingt stolz darauf, was ich jetzt sagen werde«, fuhr er fort, diesmal aus dem Stegreif. »Aber ich denke, du wirst mich verstehen. Ich hoffe es zumindest. Die Sache ist die: Ich weiß einfach nicht, wie ich dieses spezielle Problem lösen soll. Das ist alles.« Dann hatte er einen Geistesblitz: »Du warst doch auch mal Manager, Amauri, und ich frage mich, ging es dir denn damals nie so, also warst du nicht ein einziges Mal in der Situation, dass du nicht mehr wusstest, was du tun sollst?«

»Gut … also, manchmal … manchmal vielleicht schon …«, gab Senhor Amauri widerwillig zu, da er nicht wusste, wie er die Andeutung ignorieren sollte, ohne überheblich zu wirken. »Aber«, fing er wieder an, »kannst du denn wirklich nicht allein eine Lösung finden? Müssen wir uns unbedingt treffen?«

»Also,tchê, wenn ich es nicht für so wichtig hielte, hätte ich ja gar nicht erst angerufen.«

Amauri schnalzte mit der Zunge.

»Na gut. Wenn es denn sein muss. Dasselbe Restaurant wie letztes Mal, ja? In einer halben Stunde?«

»Ja, natürlich, wunderbar«, stimmte Geraldo zu und genoss seinen kleinen Triumph. »Danke, und bis gleich. Liebe Grüße.«

Er legte das Handy weg, lehnte sich in seinem Drehstuhl zurück, zündete sich eine Zigarette an und sah sich in seinem kleinen Büro um. Der ganze Raum war vollgestopft mit Dingen, für die sich nie ein geeigneter Platz finden ließ, es sah eher aus wie ein improvisierter Lagerraum denn wie das Büro eines Supermarktleiters. So viele Jahre schon war er in diesen Raum eingesperrt … Er hasste es, aber diesmal verspürte er noch etwas anderes. Nicht, dass sich