: Nicole Jacquelyn
: Craving Kara
: Sieben Verlag
: 9783967821048
: 1
: CHF 5.60
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 340
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Bereits im zarten Alter von fünfzehn Jahren musste Kara MacKenzie lernen, dass sie ihre Lieben am besten schützt, indem sie ihnen Dinge verschweigt. Mit den Jahren wird sie immer besser darin, ihre Geheimnisse für sich zu behalten. Doch als Draco Harrison aus dem Gefängnis entlassen wird und nach Hause kommt, ist das nicht mehr so einfach. Denn es ist so gut wie unmöglich, einem Menschen Dinge zu verschweigen, der einen fast genauso gut kennt, wie man sich selbst. Also beschließt sie, ihm aus dem Weg zu gehen. Was ihr auch ziemlich gut gelingt. Das einzige Problem dabei ist, dass Draco andere Vorstellungen hat.

Kapitel 2


Draco

„Bist du sicher, dass du nicht irgendwo anders hinwillst?“, fragte ich meine Mom zum fünften Mal. Sie saß am Küchentisch und umklammerte ihren Kaffeebecher so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. Sie war nicht so ruhig, wie sie alle anderen glauben machen wollte.

„Wir müssen nirgendwo anders hin“, antwortete sie und trank einen Schluck Kaffee. „Das Feuer wird uns nicht erreichen.“

Die Worte waren eher ein Mantra als eine Behauptung, so als wollte sie das Feuer allein durch ihren Willen in eine andere Richtung drängen.

Ich sah durch das Fenster hinter ihr. Der Himmel war so düster und verhangen, dass man vom Haus aus keine achtzig Meter weit sehen konnte, aber das Glühen der Waldbrände in der Ferne schimmerte hindurch, orange und höllisch unheimlich.

„Du hast doch die wichtigsten Sachen gepackt, oder?“, fragte mein Bruder Curtis.

Mom nickte.

Wir hatten schon mal ein Feuer überstanden. Als Curt und ich noch Kinder waren, gerieten wir mit unserem Cousin Gray und unserer Tante Lily in einen Hausbrand. In dieser Situation hatte es viel Scheiß gegeben, der mein kindliches Verständnis überstieg, aber ich konnte mich sehr gut an den Rauchgeruch erinnern, und dass wir nicht in der Lage gewesen waren, irgendetwas zu sehen.

Der Himmel draußen war eine lebhafte Erinnerung daran. Ich bekam dadurch ein Gefühl von Klaustrophobie.

„Da draußen ist eine verfluchte Erbsensuppe“, beschwerte sich mein Dad, der durch die Küchentür hereinkam und sie schnell hinter sich schloss. „Man kann überhaupt nichts sehen.“

„Du solltest etwas über dem Gesicht tragen, Cam“, mahnte meine Mom.

„Ich war nur fünf Minuten draußen“, antwortete er leichthin. „Da brauche ich mein Gesicht nicht zu bedecken.“

„Nach draußen zu gehen, um zu rauchen, wenn das ganze Haus bereits nach Rauch stinkt, ist irgendwie blöd“, murmelte meine Mom, worüber mein Dad lachen musste.

Mein Telefon vibrierte in meiner Tasche, und ich griff danach. Im selben Moment griff Curtis nach seinem. Ich wusste, wie die neue Nachricht lautete, bevor ich sie sah.

„Wir unterliegen jetzt Stufe Zwei“, sagte Curtis zu meinen Eltern und hob sein Telefon, sodass sie es sehen konnten.

„Wir haben gepackt“, sagte mein Dad und nickte. „Wenn wir gehen müssen, ist alles im Laster eurer Mom.“

„Nimmst du das Bike?“, fragte ich.

„Dann solltest du besser eine Maske tragen“, scherzte Curt.

„Er wird den geschlossenen Helm tragen“, sagte meine Mom und ignorierte geflissentlich Dads angewiderte Miene. „Wie er schon sagte, man kann da draußen kaum etwas sehen, was bedeutet, dass die Leute wie Idioten fahren werden.“

„Unter dem verfluchten Ding kann ich nicht atmen“, erwiderte mein Dad, aber ich wusste, dass er ihn trotzdem tragen würde.

„Was ist der Plan für das Clubhaus?“, fragte ich, und dann fiel der Strom aus.

„Verdammt“, fluchte mein Dad. „Ich wusste, dass das passieren würde.“

„Schon gut. Das Energieunternehmen hat gewarnt, dass sie alles abschalten würden“, sagte meine Mom angespannt und stand vom Tisch auf. „Ich fülle den Kaffee in eine Thermoskanne, damit er heiß bleibt.“

„Ein paar der Jungs sind gestern Abend zum Clubhaus gefahren und haben dafür gesorgt, dass alles fest verschlossen ist“, antwortete mein Dad mir, legte meiner Mom eine Hand auf die Hüfte und hielt sie so auf. Er beugte sich hinunter und küsste sie, wodurch er ihre unruhigen Bewegungen sofort besänftigte, und sah dann wieder mich an. „Dragon und Casper haben sich darum gekümmert, dass alles, was verlorengehen könnte, eingepackt und in die Stadt gebracht wurde. Aber es gibt eine Tonne Scheiß, die nicht transportiert oder irgendwo anders gelagert werden konnte. Dragon hat gesagt, dass sie das Wohnmobil ein paar Tage bei Poet und Amy abstellen, während wir abwarten, wie sich alles entwickelt. Sie sind gestern Abend losgefahren.“

„Grandpa und Grandma sind am Arsch, wenn das Feuer in diese Richtung kommt“, sagte Curt und verzog das Gesicht. Die Eltern meiner Mom wohnten in einem winzigen Haus auf dem Anwesen des Clubs. „Aber das Clubhaus und die Garage sind Ziegelsteingebäude“, sagte Curt. „Das sollte doch einen Unterschied machen, oder?“

„Klar“, antwortete mein Dad. „Das könnte sein.“

„Das ist so verflucht merkwürdig“, murmelte ich und schüttelte den Kopf. Es war so surreal.

Wir hatten schon früher Waldbrände überstanden. An der Westküste waren Waldbrände tatsächlich ziemlich normal. Doch bisher waren sie noch nie so nah an unser Zuhause herangekommen. Die Gemeinde sagte den Leuten, dass die Feuerwehrleute gute Arbeit leisteten und die Brände von den Häusern fernhielten, aber wir kannten ein paar Menschen, die bereits alles verloren hatten, und das Feuer bewegte sich schnell voran. Die Wahrheit war, dass die Feuerwehr nicht überall sein konnte.

„Was ist mit Gramps Casper?“, fragte Curt meinen Dad. „Weißt du, was er vorhat?“

Die Eltern meines Dads lebten in einem alten Farmhaus außerhalb der Stadt, ungefähr sechs oder sieben Minuten von unserem Haus entfernt. Es war alles andere als eine gerade Luftlinie, aber die Brände waren so gewaltig, dass ihr Haus in genauso großer Gefahr war wie das meiner Eltern. Vielleicht sogar in größerer Gefahr.

„Charlie ist bei ihnen und hilft ihnen beim Packen“, sagte mein Dad und nickte. „Außerdem wohnen CeeCee und Woody nebenan.“

„Nebenan klingt, als würden sie nur fünfzehn Meter entfernt wohnen“, sagte ich und schnaubte.

Mein Dad lachte. „Du weißt, was ich meine. Sie wohnen nah genug. Wenn die Alten schnell Hilfe brauchen, ist Woody sofort da.“

„Moment mal, die Generation wird also als die Alten betrachtet?“, scherzte Curt. „Ich habe den Ausdruck für euch benutzt.“

„Pass bloß auf“, sagte meine Mom und zeigte auf ihn, bevor sie sich unter den Arm meines Vaters schmiegte. „Ich bin noch nicht alt.“

„Was ist mit Tante Lily und Leo?“, fragte ich. „Ist mit ihnen alles in Ordnung?“

„Ihr Haus sollte in Sicherheit sein“, sagte mein Dad.

„Wir enden bestimmt alle bei ihnen, bevor dieser Scheiß vorbei ist“, sagte meine Mom und seufzte. „Ich werde auf gar keinen Fall in deiner Wohnung bleiben.“

„Das nehme ich dir übel“, schoss Curtis zurück.

„Sie ist sauber“, sagte ich und zuckte mit den Schultern.

„Sie ist winzig“, antwortete meine Mom. „Und sie stinkt fürchterlich.“

„Sie riecht nicht fürchterlich“, widersprach ich. „Ich bin den Gestank losgeworden, als ich einzog.“

„Das stimmt“, sagte Curtis und nickte. „Jetzt riecht sie nach Zitrone.“

„Ich habe den Boden gewischt.“ Ich lachte. „Das war nicht schwierig.“

„Ich verstehe nicht mal, was du gerade sagst“, erwiderte Curtis. „Quack, quack, quack.“

„Ferkel“, sagte ich und versteckte das Wort hinter einem falschen Husten.

„Zicke“, antwortete er und benutzte denselben Hustentrick.

„Ihr habt beide recht“, unterbrach uns unser Vater und lächelte. „Zwei Seiten derselben verdammten Münze.“

„Ich muss eine Taschenlampe finden, bevor es hier drin richtig dunkel wird“, sagte meine Mom und löste sich von meinem Dad. „Liegen sie immer noch auf dem Regal in der Garage?“

„Ja, aber die Hälfte der Batterien ist leer“, sagte er und verzog das Gesicht. „Ich helfe dir. Ich habe die Vorräte vor ein paar Wochen aufgestockt.“

„Ich fahre zu den Großeltern und frage, ob sie irgendetwas brauchen“, verkündete Curtis. Er sah mich an. „Kommst du mit?“

„Klar. Außer du hast vor, zu Fuß zu gehen?“ Ich war derjenige, der gefahren war. Roxanne und Curts Motorräder standen bereits sicher beim Haus unseres Cousins Tommy in der Stadt.

„Lasst mich wissen, wo ihr seid, okay?“, sagte mein Dad.

„Tschüss, hab euch lieb!“, rief meine Mom über die Schulter.

Wir versicherten ihnen, dass wir...