: Kardinal Michael Czerny, Christian Barone
: Wir sind alle Geschwister - das Zeichen der Zeit Die Soziallehre von Papst Franziskus
: Verlag Herder GmbH
: 9783451829529
: 1
: CHF 17.20
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: Christentum
: German
: 288
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Mit einem Vowort von Papst Franziskus, der Czerny im Frühjahr 2022 zwei Mal als Abgesandten in die Ukraine geschickt hat. Das Buch ist die deutsche Übersetzung der Buchs von Kardinal Michael Czerny SJ über die Soziallehre von Papst Franziskus, das Ende September 2021 im Original erschienen ist und im Dezember 2022 auch in englischer Übersetzung vorliegen wird. Czerny, Vertrauter von Franziskus, stellt die Soziallehre dieses Pontifikats anhand der Enzyklika 'Fratelli tutti' kritisch vor und erläutert, was es bedeutet, dass der Papst 'von den Rändern der Erde' kommt, um die weitere Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils entscheidend voranzutreiben. Papst Franziskus, der Czerny im Frühjahr 2022 zwei Mal als Abgesandten in die Ukraine geschickt hat, hat das Vorwort geschrieben.

Kardinal Michael Czerny ist seit 2022 Präfekt des Dikasterium für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen im Vatikan. Der kanadische Jesuit wurde in der Tschechoslowakei geboren und war Direktor des Instituts für Menschenrechte an der Universität in San Salvador nach der Ermordung seiner Mitbrüder. Von 1992 bis 2002 arbeitete an der Kurie der Jesuiten in Rom, gründete das Afrikanische AIDS-Netzwerk der Jesuiten, das er bis 2010 geleitet  hat und arbeitete danach als Assistent von Kardinal Peter Turkson am Päpstlichen Rat für Gerechtigkeit und Frieden, dessen Nachfolger er jetzt ist. 2016 hat ihn Papst Franziskus zum Leiter von dessen Abteilung für Migranten und Flüchtlinge ernannt. 2019 wurde er zum Kardinal erhoben. Mehrfach besuchte er im Auftrag von Papst Franziskus die Ukraine während des Krieges. Christian Barone ist Priester der Diözese Noto (Sizilien). Der Theologe wurde an der Universität Gregoriana in Rom promoviert und lehrt dort und an anderen theologischen Fakultäten.

Vorwort


Papst Franziskus

Herz des Evangeliums ist die Verkündigung des Reiches Gottes in der Person Jesu, des Immanuels, des Gott-ist-mit-uns. In ihm erfüllt Gott seinen Plan der Liebe zur Menschheit, indem er seine Herrschaft über die Geschöpfe verwirklicht und die Saat des göttlichen Lebens in der menschlichen Geschichte ausstreut, sie von innen her verwandelt.

Sicher darf man das Reich Gottes nicht mit einer irdischen oder politischen Errungenschaft gleichsetzen oder verwechseln. Es darf auch nicht als rein innerliche, rein persönliche und spirituelle Wirklichkeit verstanden werden, oder als eine Verheißung, die nur die künftige Welt betreffen würde. Der christliche Glaube lebt im Gegenteil von einem faszinierenden und herausfordernden Paradox, einem Wort, das dem Jesuitentheologen Henri de Lubac sehr wichtig war. Das ist es, was Jesus, auf ewig mit unserem Fleisch verbunden, hier und heute vollbringt, indem er uns für Gott, den Vater, öffnet und uns eine fortwährende Befreiung schenkt, da in ihm das Reich Gottes schon nahe gekommen ist (Mk 1,12–15).

Gleichzeitig bleibt das Reich Gottes eine Verheißung, solange wir in diesem Fleisch existieren, eine tiefe Sehnsucht, die wir in uns tragen, ein Schrei, der sich aus der noch vom Bösen gepeinigten Schöpfung erhebt, die bis zum Tag ihrer umfassenden Befreiung leidet und stöhnt (Röm 8,19–24).

Deshalb ist das von Jesus verkündete Reich eine lebendige und dynamische Wirklichkeit. Es fordert uns zur Bekehrung auf, möchte, dass unser Glaube aus dem Stillstand einer individuellen Religiosität oder aus der Reduktion auf bloßen Legalismus herauskommt. Er will, dass unser Glaube stattdessen zu einer beständigen und ruhelosen Suche nach dem Herrn und seinem Wort wird, das jeden von uns zur Mitarbeit mit dem Handeln Gottes in unterschiedlichen Situationen des Lebens und der Gesellschaft auffordert. Auf verschiedenen Wegen, oft anonym und schweigend, selbst in der Geschichte unserer Misserfolge und unserer Verwundungen, wird das Reich Gottes in unseren Herzen und in den Ereignissen wahr, die sich um uns herum abspielen. Wie ein im Acker verstecktes kleines Senfkorn (Mt 13,31), wie ein wenig Sauerteig, der das Mehl durchsäuert (Mt 13,24–30), bringt Jesus in unsere Lebensgeschichte Zeichen des neuen Lebens. Er ist gekommen, um einen Anfang zu machen, und fordert uns dazu auf, mit ihm bei seinem Erlösungswerk zusammenzuarbeiten. Jeder von uns kann zur Verwirklichung des Reiches Gottes auf Erden beitragen, indem wir Räume der Erlösung und Befreiung auftun, Hoffnung säen, die todbringende Logik des Egoismus mit dem Geist der Geschwisterlichkeit des Evangeliums herausfordern, uns mit Zärtlichkeit und Solidarität für das Wohl unserer Nächsten, vor allem der Ärmsten, einsetzen.

Wir dürfen diese soziale Dimension des christlichen Glaubens nie aus den Augen verlieren. Wie ich inEvangelii Gaudium ausgeführt habe, hat daskerygma der Verkündigung des christlichen Glaubens eine unverzichtbare soziale Dimension. Sie lädt uns dazu ein, eine Gesellschaft zu errichten, in der die Logik der Seligpreisungen die Oberhand hat, in der eine Welt des Geschwisterseins aller und der Solidarität vorherrscht. Der Gott, der Liebe ist, fordert uns in Jesus dazu auf, das Liebesgebot so zu leben, als ob wir alle Geschwister einer einzigen Familie wären; mit ein und derselben Liebe heilt dieser Gott sowohl unsere persönlichen wie gesellschaftlichen Beziehungen, indem er uns dazu aufruft, Friedensstifter und Erbauer von Bruder- und Schwesternschaft untereinander zu sein: »Das Angebot ist das Reich Gottes (Lk 4,43); es geht darum, Gott zu lieben, der in der Welt herrscht. In dem Maß, in dem er unter uns herrschen kann, wird das Gesellschaftsleben für alle ein Raum der Brüderlichkeit, der Gerechtigkeit, des Friedens und der Würde sein. Sowohl die Verkündigung als auch die christliche Erfahrung neigen dazu, soziale Konsequenzen auszulösen« (EG, Nr. 180).

In diesem Sinn sind die Sorge für unsere Mutter Erde und der Aufbau einer solidarischen Gesellschaft alsfratelli tutti oder das »