: Carmen Possnig
: Südlich vom Ende der Welt Wo die Nacht vier Monate dauert und ein warmer Tag minus 50 Grad hat - Mein Jahr in der Antarktis
: Ludwig
: 9783641264260
: 1
: CHF 13.10
:
: Biographien, Autobiographien
: German
: 304
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Einmal Südpol und zurück - was für viele Menschen ein unerfüllbarer Lebenstraum ist, wurde Realität für die Medizinerin Carmen Possnig. Im Auftrag der Europäischen Weltraumorganisation reiste sie für ein Jahr in das Herz der Antarktis, um zu erforschen, wie es sich in extremen Wetterbedingungen, unter spürbarem Sauerstoffmangel und in völliger Isolation vom Rest der Welt lebt. Mit 12 anderen Wissenschaftlern überwinterte sie in der Forschungsstation Concordia mitten im ewigen Eis. Sie stieß hierbei nicht nur auf die atemberaubende Schönheit des extremsten Kontinents der Welt, sondern auch an ihre eigenen Grenzen, denn monatelange Dunkelheit, Temperaturen von bis zu -80°C, und das Zusammenleben auf engstem Raum erfordern körperliche und psychische Höchstleistungen. Carmen Possnigs persönlicher, humorvoller Reisebericht sowie eine Fülle an faszinierenden Fotos öffnen uns das Tor zu einer unbekannten Welt und lassen uns staunen über die Vielfalt unseres Planeten und die Anpassungsfähigkeit der menschlichen Natur.

Carmen Possnig wurde 1988 in Klagenfurt geboren und ist Allgemeinmedizinerin. 2018 verbrachte sie im Rahmen eines Forschungsauftrags der Europäischen Weltraumorganisation ein Jahr in der Antarktis. In der Forschungsstation Concordia, in der die Lebensbedingungen mit denen auf dem Mars vergleichbar sind, untersuchte sie an ihrer 13-köpfigen Crew, wie Menschen sich mit Körper und Geist an extreme Umgebungen anpassen. Seit ihrer Rückkehr beschäftigt sie sich im Rahmen eines PhD-Studiums an der Universität Innsbruck mit Weltraummedizin.

Kapitel 1

Haben Sie gute Witze auf Lager?

»Männer gesucht für gefährliche Reise.

Niedrige Löhne, bittere Kälte, lange Stunden kompletter Finsternis.

Sichere Rückkehr zweifelhaft.

Ruhm und Ehre im Falle von Erfolg.«

Zeitungsinserat, Ernest Shackleton zugeschrieben, auf der Suche nach Teilnehmern für eine seiner Expeditionen.

In einer Novembernacht eineinhalb Jahre zuvor sitze ich im Kreißsaal eines Wiener Krankenhauses. Gerade ist es vergleichsweise ruhig geworden. Halb vier Uhr morgens, und es scheint unmöglich, dass diese Nacht jemals endet. Aus einigen Zimmern ist heiseres Babygeschrei zu hören, aus einer Ecke die murmelnde Stimme der Oberärztin. Die dumpfe Beleuchtung des Saales verstärkt meine Müdigkeit noch, und ich frage mich, wann ich das letzte Mal ein Bett gesehen habe. Die Gesichter von zwei werdenden Vätern, ab und zu ruckartig Ausschau nach einer der Hebammen haltend, die durch die Gänge eilen, machen mir klar, dass ich von Schlaf diese Nacht nur träumen kann. Ich senke meinen Blick auf den Computerbildschirm und tippe die Daten von Baby Nummer drei in das veraltete Programm ein. Draußen vor den Fenstern beginnt es zu schneien. Ich wickle den dünnen Arztmantel enger um mich. Nummer dreis Kopfumfang, 34 cm.

»Ich brauche dich in dreißig Minuten!« Eine Hebamme huscht vorbei, das nächste Baby ist unterwegs. Mein Handy zeigt jetzt vier Uhr an, ein Blinken, ein paar ungelesene E-Mails. Einen Moment lang betrachte ich gedankenverloren die Schneeflocken vor dem Fenster. Dann öffne ich eine der Mails. Den Blick auf das kleine Display gerichtet, brauche ich einige Zeit, um zu realisieren, was dort geschrieben steht.

Call out for the newESA ResearchMD in Concordia Station.

Sie wollen ein Jahr lang in völliger Isolation für dieESA forschen?

Schlagartig ist die Müdigkeit verschwunden. Mein Blick fliegt über die Nachricht.ESA, die Europäische Weltraumorganisation, sucht einen Forschungsarzt für Concordia – eine einsame Station inmitten der Antarktis. Fotos einer weißen Wüste. Temperaturen um –80 °C. Komplette Dunkelheit für vier Monate. Eine kleine Crew, völlig isoliert, ohne die Möglichkeit einer Evakuierung, soll Forschung für die Weltraummedizin durchführen, ein Jahr lang leben wie Astronauten auf dem Mars.

Ich bin hellwach. Nehme die Schreie von Babys und Müttern um mich herum wahr, die nervösen Väter und gestressten Hebammen. Ob ich hier weg will? Abenteuer, Expeditionen? Ja, bitte, am liebsten jetzt gleich. Wo kann ich mich bewerben?

Meine Bewerbung für das Projekt geschrieben und abgeschickt, trage ich die nächsten Wochen die ausgedruckte E-Mail in meiner Manteltasche mit mir herum. Es erscheint mir wie ein Ausweg, die Rettung aus dem Chaos, eine Herausforderung, die Möglichkeit, der Monotonie und den ausgetretenen Pfaden zu entfliehen. Ein Abenteuer, das nur auf mich wartet.

Im Februar 2017 folgt eine weitere Nachricht: DieESA hat mich als einen von vier Finalisten für den Job des Forschungsarztes auserwählt. Ich bin für Anfang März eingeladen zu einem Interview in Paris. Plötzlich wird die Mission, bisher nur ein Gedankenspiel, zu einer greifbaren Möglichkeit.

Concordia ist eine Forschungsstation inmitten der Antarktis. Der Osten des Kontinents besteht aus einem gewaltigen Hochplateau. Die Gegend, in der Concordia sich befindet, nennt sich Dome C und liegt etwa 1 200 Kilometer von der Küste entfernt. Der Name ist darauf zurückzuführen, dass jemand die Erhebungen dieses Hochplateaus einfach alphabetisch benannte. Nach Dome A und Dome B gibt es also auch Dome C. Früher wurde es Dome Charlie oder Dome Circ