: Wolfgang Drechsel
: Gemeindeseelsorge
: Evangelische Verlagsanstalt
: 9783374049509
: 2
: CHF 20.10
:
: Praktische Theologie
: German
: 204
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Gemeindeseelsorge ist ein zentrales Thema kirchlicher Arbeit. Zugleich aber wird sie kaum wahrgenommen. Sowohl in der Seelsorgetheorie wie auch im Bewusstseins der konkreten Gemeindepraxis fristet sie eher eine Art Aschenbrödel-Dasein. Anliegen dieses Buches ist es, hier eine Lücke zu schließen und erstmals einen Gesamtentwurf zur Seelsorge in der Gemeinde im Blick auf Theorie und Praxis vorzulegen. Von der Frage nach den Gründen der bisherigen Nichtbeachtung her wird ein Verstehensmodell für die Gemeindeseelsorge entworfen und in seinen Konsequenzen für eine Praxis entfaltet, die so eine neue Würdigung erfahren kann. So ist dieses Buch nicht nur für die Seelsorgetheorie, sondern auch für alle Interessierten aus der Gemeindepraxis von besonderem Interesse.

Wolfgang Drechsel, Dr. theol., Jahrgang 1951, ist Professor für Praktische Theologie mit dem Schwerpunkt Seelsorge in Heidelberg. Von 1983 bis 2004 war er Krankenhausseelsorger an einem Klinikum in München. Er ist pastoralpsychologischer Berater, Supervisor, Lehrsupervisor der Deutschen Gesellschaft für Pastoralpsychologie (Sektion T).

1 SEELSORGE IN DER GEMEINDE –EINE ANNÄHERUNG


Blicken wir also auf das, was im kirchlichen Sprachgebrauch unter »Gemeindeseelsorge« verstanden wird.1 Dazu kann vorab festgehalten werden: Es handelt sich hier um ein ausgesprochen breites Feld von vielfältigen Begegnungsformen. Diese sind nur schwer kompatibel mit dem, was man sich im Allgemeinen unter Seelsorge vorstellt, ja sie stellen sich dazu gewissermaßen quer. So sind z. B. die klassischen Formen einer im weitesten Sinne als »beratend« verstandenen Seelsorge mit einem klaren Kontrakt und strukturiertem Setting, bei dem der Seelsorgepartner etwas anschauen, bearbeiten, klären will, in der Gemeinde eher selten. Demgegenüber ist der größte Teil der faktischen Vollzüge durch das Gemeindeleben mitten im Alltag vorgegeben – im Blick auf sein (all-)tägliches Geschehen, aber auch im Blick auf die sich innerhalb derselben immer wieder zeigenden Irritationen und Grenzen dieses Alltäglichen. Grundsätzlich lässt sich dabei unterscheiden zwischen nicht geplanten seelsorglichen Begegnungen und solchen, in denen der Seelsorger, die Seelsorgerin bewusst Menschen in seiner Gemeinde sucht und aufsucht, und ihnen mit einer seelsorglichen Haltung begegnet. Das beinhaltet im Einzelnen:

1. Ein großer Teil dessen, was im gemeindlichen Kontext zur Seelsorge gerechnet wird, hat den grundlegenden Charakter des Zufälligen, wie er in den Begriffen »Seelsorge am Gartenzaun« oder »Seelsorge bei Gelegenheit« zum Ausdruck kommt. Dies lässt sich mit dem Zitat einer Pfarrerin zusammenfassen: »So richtige Seelsorge in meinem Amtszimmer, bei der jemand mit mir einen Termin ausgemacht hat, das kommt kaum vor. Meine Seelsorge findet vor allem auf der Straße oder am Rande von Veranstaltungen statt.« Bereits auf dieser Ebene können zwei Perspektiven unterschieden werden:

1.1 Als Erstes ist die unendliche Vielzahl an Möglichkeiten zu benennen, bei denen der Pfarrer oder die in ihrer seelsorglichen Funktion bekannte Ehrenamtliche auf jemanden zugeht, ihn grüßt und fragt, wie es ihm geht. Dabei kann die Frage nach der augenblicklichen Befindlichkeit allgemein gehalten sein oder sich auch auf spezifische Situationen beziehen, die aufgrund einer gemeinsamen Vorgeschichte schon bekannt sind. Dies kann am Rande von Veranstaltungen, auf der Straße oder auch in Situationen geschehen, in denen die Seelsorgerin quasi privat unterwegs ist, wie z. B. beim Einkaufen. Die mehr oder weniger zufällige Begegnung bestimmt den Ort des Gesprächsangebots bzw. Gesprächs. Inhaltlich können sich – wenn die Frage »Wie geht es Ihnen?« ernst gemeint ist und das Gegenüber das auch so wahrnimmt – sehr unterschiedliche Situationen ergeben. Der größte Teil solcher Gespräche dürfte auf einer allgemeinen und eher unverbindlichen Ebene bleiben, z. B. wie es so geht und was gerade ansteht. Ein wesentlicher Teil der übrigen Begegnung dürfte mit den alltäglichen Irritationen des Alltags zu tun haben, z. B. »mein Mann hat so viel zu tun, dass die ganzen Sorgen um die Kinder bei mir bleiben«, oder »seit unser Sohn in der Pubertät ist, bringt er richtig schlechte Noten mit heim«. Allerdings kann und muss immer auch damit gerechnet werden, dass auf d