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Ich bin das, was ich weiß!
Dass ausgerechnet ich vor einem Millionenpublikum im Fernsehen auftrete, damit hätte niemand in meiner Kindheit gerechnet. Ich war schüchtern, unsicher und menschenscheu. Ein schmächtiges und introvertiertes Kind mit geringem Selbstbewusstsein, das lieber zu Hause bei Mama blieb, als mit anderen Kindern auf dem Spielplatz herumzutoben. Was ist passiert?
Meine erste Quelle der Anerkennung war, dass ich richtige Antworten parat hatte. Der blasse, dünne Junge wurde plötzlich für andere Kinder sichtbar. Natürlich brauchte es jemanden, der Fragen stellte und einen Rahmen bot, in dem die Antworten gehört wurden. Dieser Rahmen war die Schule. Trotzdem war ich kein Überflieger. Lesen machte mir in den ersten Schuljahren weniger Spaß, dafür konnte ich in Gebieten brillieren, die mich schon früh interessierten. Das waren Geografie, Mathematik und Sport, also Letzteres zugegeben eher theoretisch. Ich kannte schon vor meiner Einschulung die Länder der Welt mit ihren Hauptstädten und Flaggen und konnte das große Einmaleins aus dem Eff-eff. Auf dem Schulhof beeindruckte ich meine Klassenkameraden mit Fußballergebnissen und -statistiken.
Ich war die Person, die »alles wusste« – das war meine Rolle im sozialen Umfeld. Natürlich wusste ich nicht alles. Aber ich konnte immerhin einige, für Grundschüler untypische Fakten wie die Namen der deutschen Bundeskanzler und Bundespräsidenten aufzählen, ich hatte dieses Wissen nebenher aufgeschnappt, beim Fernsehen und dank der Zwei-DM-Münzen. Im Klassenzimmer reichte das für den Stempel des »Alleswissers« aus, den ich dann in meiner ganzen Schulkarriere nicht mehr losbekam, wie Abibucheinträge à la »Das wandelnde Lexikon« oder »Don’t ask Google – frag Basti« bestätigen. Dieses soziale Sichtbarwerden war für mich eine starke Triebfeder. Dieser Rolle wollte ich unbedingt gerecht werden.
Das bedeutete jedoch nicht, dass ich mich damals zu Hause hinsetzte und alles, was mir in die Hände kam, stupide auswendig lernte. So langweilig wurde mein Leben erfreulicherweise nicht, und so spannend schien der Brockhaus auch nicht zu sein, es gab ihn ja nicht einmal bei uns zu Hause, und einen Internetzugang hatten wir damals sowieso noch nicht. Aber ich hatte den Ehrgeiz, Fragen richtig beantworten zu können. Wenn ich keine korrekte Antwort wusste, dann musste ich dem nachgehen. Etwas nicht zu wissen passte weder in mein Selbstverständnis noch in das Bild, das andere von mir zeichneten.
Insofern ist meine Entwicklung auch eine Art selbst erfüllende Prophezeiung. Ob diese in einen Teufels- oder Engelskreis mündet, liegt an einem selbst. Wenn Sie von sich denken, »Ach, ich kann mir das sowieso nicht merken« oder »Ich war schon immer schlecht in Geografie, und das wissen ja alle«, dann ist die Wahrscheinlichkeit auch hoch, dass das so sein wird. Emotionen, gelegentlich auch Ärger, sind zwar für erfolgreiches Lernen essenziell, aber eben kontraproduktiv, wenn man das Gefühl hat, etwas nicht zu können. Identität formt die Wirklichkeit.
Besser ist es, wenn Sie den Anspruch haben, über ein bestimmtes Niveau an Wissen zu verfügen. Dann werden Sie nämlich die richtigen Schlüsse ziehen und entsprechend handeln. Wenn Sie also in den Nachrichten den Namen des südamerikanischen Staates Ecuador vernehmen, dann sollten Sie sich selbst testen: Was kann ich eigentlich zu diesem Land sagen? Wie heißt die Hauptstadt? An welchem Ozean liegt Ecuador? Woher kommt der Name des Landes? Diese Fragen sind möglicherweise der Anfang, sich intensiver