1.2 Das Lernsystem des Gehirns
Es war ein trüber Septembernachmittag im Jahre 1987. Ich setzte mich vor einen brandaktuellen Atari 1040STF, der, meiner Meinung nach, beste Heimcomputer seiner Generation. Alles dabei, was später erst mit Microsoft Windows denPC-Markt erobern sollte: Maus, Festplatte mit 1-Megabyte-Speicherplatz, Tastatur, Bildschirm, Textverarbeitungs- und Grafikprogramme und: Spiele. Haufenweise Spiele, die ich als kleiner Junge im Vorschulalter natürlich super fand, Pac-Man, Bumerang, Schach … Besonders Pac-Man hatte es mir angetan, das Spiel, bei dem man ein Gesicht punktemampfend durch ein Labyrinth steuern muss. Ein Heidenspaß.
Ohne es darauf abgesehen zu haben, lernte ich, wie man das Spiel am besten spielen muss. Die Herausforderung mag vergleichsweise banal erscheinen, doch bei genauerem Betrachten ist die Sache gar nicht so einfach. Man muss zunächst die Spielregeln lernen. Da ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausreichend lesen konnte und keiner mir die Regeln erklärt hatte, brachte ich sie mir selbst bei – und zwar je öfter ich spielte. Zum anderen musste ich erkennen, welche Spielstrategie besonders zielführend ist. Schließlich sollte man die Spielfigur nicht planlos über den Bildschirm scheuchen, sondern dafür sorgen, dass sie möglichst effizient und auf kürzestem Weg die Belohnungspunkte einsammelt, ohne von den Gespenstern erwischt zu werden. Und zu guter Letzt musste auch noch meine Augen-Hand-Koordination geschult werden. Sprich, ich lernte unterbewusst eine Bewegungsstrategie. Innerhalb kürzester Zeit wurde ich immer besser im Pac-Man-Spielen. Waren mir die ersten Level zunächst noch unglaublich schwergefallen, erschienen sie mir nach ein paar Tagen, in denen ich in immer höhere und schwierigere Spielstufen vorgedrungen war, kinderleicht.
Lernen passiert offenbar ständig, auch dann, wenn wir es gar nicht beabsichtigen. Viele stellen sich vor, dass man für das Lernen ein geschütztes Umfeld schaffen muss, in dem man den Wissenserwerb besonders effizient gestaltet. Gelernt wird in einem Klassenzimmer oder einem Schulungsraum, man setzt sich an einen Schreibtisch, um zu lernen, oder man nimmt sich abends noch ein paar Stunden, um den Lernstoff durchzugehen. Dabei unterteilt unser Gehirn seine Zeit nicht in Phasen des Lernens und Nichtlernens. Im Gegenteil, wir sind permanent darauf ausgerichtet, Neues zu erfahren und die eintreffenden Sinnesreize so zu sortieren, dass wir sie das nächste Mal leichter und besser verarbeiten können. Das Gehirn passt sich permanent an. Wie gelingt ihm das genau?
Ein Empfangsbereich im Gehirn
Das Gehirn arbeitet mit Nervennetzwerken. Um die gewaltigen Nachteile (zum Beispiel das katastrophale Vergessen oder die Inflexibilität), die ein solches System mit sich bringt, zu umgehen, wendet es beim Lernen einen Kniff an: Informationen werden nicht sofort, sondern über eine Zwischenstation verarbeitet. Denn damit neue Informationen auch dauerhaft im Gehirn verfestigt werden können, müssen sie sich als würdig erweisen und durch diese Empfangshalle hindurch. Natürlich sagt kein Neuroanatom »Empfangshalle«, sondern Hippocampus, das klingt wissenschaftlicher und erinnert obendrein daran, dass diese Hirnstruktur entfernt einem Seepferdchen (lat.hippocampus) mit eingekringeltem Schwanz ähnelt. In jeder Hirnhälfte haben wir einen Hippocampus, jeder in etwa so groß wie zwei Fingerkuppen, mit grob gerundeten vierzig Millionen Nervenzellen.4 Im Vergleich zu den etwas mehr als achtzig Milliarden Nervenzellen, die wir insgesamt im Gehirn haben, ist das nicht besonders viel (weniger als ein Tausendstel). Diese Nervenzellen sitzen allerdings an einer wic