: Margaretha Kopeinig
: Der dreizehnte Stern Wie Österreich in die EU kam
: Czernin Verlag
: 9783707604986
: 1
: CHF 13.40
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: Politik
: German
: 272
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
1994 ist ein entscheidendes Jahr für Österreich: Wird das Land EU-Mitglied oder nicht? Was sich in den Beitrittsverhandlungen abspielt, ist aufregend wie ein Polit-Krimi, die anschließende Phase bis zur Volksabstimmung eine spannende Zeit. Zwanzig Jahre danach beschreibt die Europa-Journalistin Margaretha Kopeinig die Annäherung Österreichs an die EU und lässt die wichtigsten Akteure von damals zu Wort kommen. Am 1. Jänner 1995 ist es so weit: Österreich wird EU-Mitglied. Der Beitritt zählt - nach dem Staatsvertrag 1955 - zum politisch wie ökonomisch wichtigsten Ereignis der österreichischen Zeitgeschichte und zur mutigsten Entscheidung der Zweiten Republik. Die Fakten sind bekannt, doch was verbarg sich hinter den jahrelangen Vorbereitungen, welche Fallen wurden gestellt, welche Hürden mussten genommen werden und wie war Österreich vorbereitet? Und nicht zuletzt: Was hat der EU-Beitritt Österreich gebracht und wo steht das Land heute? Die im zweiten Teil enthaltenen Gespräche mit den damaligen Protagonisten, in denen bisher völlig Unbekanntes ausgesprochen wird, sind ein unersetzliches Zeitzeugnis: Interviews mit Franz Vranitzky, Erhard Busek, Brigitte Ederer, Ferdinand Lacina, Franz Fischler, Wolfgang Schüssel und Robert Denis del Picchia.

Margaretha Kopeinig, Dr. phil., geboren 1956, Studium der Politikwissenschaft, Geschichte, Soziologie und Pädagogik in Wien, Genf und Bogotá. 1992 bis 1994 EU-Kurier-Korrespondentin in Brüssel, kurze Zeit »profil«-Redakteurin, seit 1995 Redakteurin des »Kurier« mit dem Schwerpunkt Europa-Berichterstattung. Zahlreiche Veröffentlichungen, zuletzt im Czernin Verlag (zusammen mit Wolfgang Petritsch): »Das Kreisky-Prinzip. Im Mittelpunkt der Mensch.«

WIEÖSTERREICH EU-MITGLIED WIRD


1. Der WegÖsterreichs nach Brüssel entsteht im Gehen


So alt wieÖsterreichs immerwährende Neutralität sind auch dieÜberlegungen, Ideen und Pläne der Politik,Österreich, das Land am Eisernen Vorhang, in einem westlichen Bündnis zu verankern. Verhandlungenüber ein Assoziationsabkommen mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) Anfang der 1960er-Jahre scheitern,Österreich wird Mitglied der Europäischen Freihandelszone (EFTA).7 Mitte der 1980er-Jahre, konkret vor der Großen Koalition unter Bundeskanzler Franz Vranitzky ab 1987, gewinnt die Diskussion an Dynamik, das EFTA-MitgliedÖsterreich enger an die Europäischen Gemeinschaften8 zu binden. Es gibt Konzepte, Forderungen und Initiativen, schließlich existiertÖsterreich ja nicht abgeschottet zwischen den Blöcken.

7 Die EFTA(European Free Trade Association) wird am 4. Januar 1960 in Stockholm gegründet, dasÜbereinkommen tritt am 3. Mai 1960 in Kraft. Zielsetzung: die Förderung von Wachstum und Wohlstand der Mitgliedstaaten sowie die Vertiefung des Handels und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den westeuropäischen Ländern, aber auch der Welt insgesamt. Gleichzeitig sollte die EFTA ein Gegengewicht zu den Europäischen Gemeinschaften (EG) bilden. Die EFTA stellt eine in ihrem Anwendungsbereich begrenzte Freihandelszone zwischen ihren Mitgliedern ohne weitere politische Zielsetzungen dar. Gründungsmitglieder sind Dänemark, Norwegen,Österreich, Portugal, Schweden, die Schweiz und das Vereinigte Königreich. Es folgen Finnland (assoziiertes Mitglied 1961, Vollmitglied 1986), Island (1970) und Liechtenstein (1991). Nach demÜbertritt Großbritanniens und weiterer EFTA-Gründungsmitglieder zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1973 verliert die EFTA zunehmend an Bedeutung. Seit 1995 gehören ihr nur noch Norwegen, Liechtenstein, die Schweiz und Island an, das 2009 zwar einen Antrag auf Aufnahme in die Europäische Union gestellt, diesen mittlerweile aber wieder auf Eis gelegt hat.

8 Mit»Europäische Gemeinschaften« wird die Gesamtheit aus der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM) sowie der EuropäischenWirtschaftsgemeinschaft (EWG) bezeichnet. 1993 wird die EWG zur Europäischen Gemeinschaft (EG).

Bereits seit 1955 haben Regierungsmitglieder versucht, Mittel und Wege einer Westorientierung und Integration zu finden.9 Die EFTA-Mitgliedschaft wird als eine Art Brücke zu einer möglichen Assoziierung oder Zollunion mit der EWG betrachtet, ein EWG-Vollbeitritt komme aber wegen der Wahrung der Verpflichtungen aus Staatsvertrag und Neutralität nicht in Frage, so das Argument vonÖVP- und SPÖ-Politikern. Am 15. Dezember 1961 stelltÖsterreich ein Assoziierungsgesuch an die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und an die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Nach langem Hin und Her in den 1960er-Jahren und etlichen Verhandlungsrunden mit der EWG schließtÖsterreich 1972 einen Zoll- und Freihandelsvertrag mit der EWG, Assoziationsverträge kommen nicht zustande. Bundeskanzler Bruno Kreisky betontöffentlich, dass die EWG»keineswegs die wirtschaftliche Variante zur NATO darstellt«.10 In diesem Abkommen wirdÖsterreich»volle Handlungsfreiheit« gegenüber Drittstaaten, vor allem gegenüber den osteuropäischen Ländern, eingeräumt und es werden die Verpflichtungen aus dem Staatsvertrag berücksichtigt.»Österreich hatte damit den schon früher eingenommenen Status als integrationspolitischer›Sonderfall‹ behauptet, der die Option einer weiteren wirtschaftlichen Westorientierung, vor allem aber formell seine politische Unabhängigkeit bewahrte«.11

9 Einen ausgezeichnetenÜberblicküberÖsterreichs Integrationsbestrebungen gibt Michael GEHLER: DERS.,Österreichs Weg in die Europäische Union, Innsbruck 2009, S 41ff.

10 GEHLER, Michael, op. cit., S. 81.

11 GEHLER, Michael, op. cit., S. 82.

Das»gewisse Dilemma« Neutralität


Von den 1970er-Jahren bis Mitte der 1980er-Jahre gibt es laufend Aussagen, Positionen und Konzepte zurösterreichischen Europa-Politik. Bemerkenswert ist ein vertrauliches Gespräch zwischen Bundeskanzler Kreisky und dem Präsidenten der EG-Kommission, Roy Jenkins, anlässlich seines Wien-Besuches im Oktober 1979.»Wir haben die wirtschaftliche Reife, die geographischen Voraussetzungen und hätten auch den politischen Willen für einen EG-Beitritt– es gibt aber die erwähnten Hindernisse.«12 Kreisky spielt hier auf den Staatsvertrag und auf die Neutralität an. Und er führt weiter aus:»Wir befinden uns daher in einem gewissen Dilemma. Die Gemeinschaft sollte sichüberlegen, wie die vorhandenen institutionellen Regelungen zwischenÖsterreich und ihr belebt werden können und wie man stillschweigend– oder auch weniger stillschweigend– ein immer höheres Maß an Integration verwirklichen könnte.«13 Fazit dieser Kreisky-Äußerungen:Österreich könne aufgrund seiner Neutralität das Prinzip der Supranationalität nicht akzeptieren.

12 Ebd., S. 97.

13 Ebd.

Ein Konzept, das eine weitgehende Integration ohne Mitgliedschaft vorsieht, legtÖVP-Parlamentarier Andreas Khol 1985 unter dem Titel»Im Dreisprung nach Europa: Kooperation– Assoziation– Union« vor.

Im Gegensatz zur europapolitischen H