: Anna Kampschroer
: Willkommen im neuen Zuhause Eine Geschichte für Kinder in Pflegefamilien und Wohngruppen
: Ernst Reinhardt Verlag
: 9783497618835
: 1
: CHF 20.00
:
: Sozialpädagogik, Soziale Arbeit
: German
: 135
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Janis wohnt bei der Nachbarin 'Oma' Wallner, weil die Eltern nicht gut für ihn sorgen. Bald wird er erneut umziehen, in sein neues Pflege-Zuhause. Um den Abschiedsschmerz zu lindern, erzählt ihm Oma Wallner die Geschichte vom verlassenen Löwen Leo: Er sucht mit der Hilfe der Elefantin Berta eine neue Löwenfamilie. Am Ende eines abenteuerlichen Weges wird Leo von einer Pflegefamilie willkommen geheißen, in der er sich sicher und gut versorgt fühlt. Die ProtagonistInnen in Rahmenhandlung und Tierfabel bieten Mädchen und Jungen, die nicht in ihren Familien verbleiben können, eine stärkende Identifikationsmöglichkeit: Sie geben trotz schwieriger Situationen nicht auf, sondern bewahren ihren Lebensmut. Die Geschichten sind eine wertvolle Hilfe für Pflegeeltern und pädagogisch-therapeutische Fachkräfte. Ab 6 Jahren

Anna Kampschroer, Barntrup, Dipl. Sozialpäd., ist Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin (TP), 20 Jahre in eigener Praxis; Fortbildungstätigkeit u. a. im Bereich Fremdunterbringung; langjährige Erfahrung in der stationären Jugendhilfe als professionelle"Pflegemut er".

Kapitel 1: Leo in Not

Der kleine Löwenjunge Leo lebt in dem großen LandIrgendwo. Er ist zwar kein Baby mehr, aber doch noch ein richtiges Löwenkind. Jeden Tag quält ihn die Sehnsucht nach Erwachsenen, die gut für ihn sorgen. Ziemlich verzweifelt ist Leo, weil seine Löweneltern das nicht können.

„Vielleicht merken sie nicht, wie traurig ich oft bin. Manchmal denke ich, dass ich ihnen ganz egal bin. Ich wünsche mir Eltern, die sich wirklich um mich kümmern, mit mir zusammen Spaß haben, mir zuhören und mich trösten, wenn ich traurig bin. Warum kann ich nicht solche Eltern haben wie andere Kinder?“

Besonders, wenn er vor sich hin träumt oder abends beim Einschlafen, überfallen Leo diese Gedanken. Dann werden Wut, Traurigkeit und Verzweiflung in ihm riesengroß. Bis tief in den Bauch hinein breiten sie sich aus. Auch in seinen Beinen und Pfoten kann er sie spüren. Manchmal wird er richtig zittrig davon. In solchen Momenten wünscht er sich ganz weit weg. Er stellt sich vor, bei Erwachsenen zu leben, die ihn mögen und ganz viel Zeit für ihn haben.

In manchen Nächten träumt er sogar davon. Dann gibt es da eine Mutter und einen Vater, die mit ihm umhertollen, ihm zuhören, wenn er etwas erzählt, ihn trösten, wenn er traurig ist. Herrlich ist das. Leo mag diese Träume. Am liebsten würde er für immer in dieser Traumwelt bleiben. Aber irgendwann wacht er auf und merkt, dass in seiner Wirklichkeit alles ganz anders ist. Ziemlich enttäuscht ist er dann, traurig und auch wütend.

„Lange halte ich das nicht mehr aus“, sorgt Leo sich. „Ich brauche Erwachsene, die sich um mich kümmern. Es wäre wunderbar, wenn meine Eltern das noch lernen könnten. Manchmal denke ich, dass sie sich überhaupt keine Mühe geben. Wenn ich etwas nicht schaffe, schimpfen sie meistens sofort mit mir. Sie behaupten dann, dass ich mich nur etwas mehr anstrengen muss“, erinnert sich Leo.

„Ich mag es nicht, wenn Mama und Papa so sind und solche Sätze zu mir sagen. Richtige Bauchschmerzen bekomme ich davon. Ich brauche Erwachsene, die mich mögen, die gut für mich sorgen und die mich vor Gefahren beschützen.“ Das spürt Leo ganz deutlich.

An manchen Tagen möchte er sein Leid herausschreien. Aber das traut er sich nicht.

„Wenn ich jemandem erzähle, wie es mir geht, werden Mama und Papa bestimmt sehr wütend. Das will ich auf keinen Fall. Richtig gefährlich könnte es für mich werden. Schon oft genug habe ich das gespürt. Wenn sie wütend sind, beißen sie mir meistens ins Ohr. Dann schreie ich vor Schmerzen, aber das interessiert meine Eltern nicht. Mit ihren starken Tatzen schlagen sie sogar extra nochmal nach mir. Wenn ich dann weine, behaupten sie, dass ich das verdient habe, weil ich so böse war. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Manchmal möchte ich Mama und Papa auch beißen oder verhauen, wenn sie gemein zu mir waren. Aber das darf ich nicht. Irgendwie finde ich das ungerecht. Ich traue mich aber nicht, es zu sagen. Vielleicht würde dann alles noch schlimmer.

An manchen Tagen möchte ich trotz meiner riesengroßen Angst jemandem anvertrauen, wie meine Eltern mich behandeln. Aber ich glaube, das darf ich nicht. Oder doch? Dürfen wir Kinder anderen davon erzählen, wenn wir in Not sind?“

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