: Michael Haller, Hans-Peter Waldrich
: Schuld, Verantwortung und Solidarität. Eine Kontroverse über Russland, Deutschland und die Nato im Ukrainekrieg
: Herbert von Halem Verlag
: 9783869626949
: 1
: CHF 16.30
:
: Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
: German
: 280
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Jeden Tag dieselben Bilder und Berichte von brennenden Gebäuden, zerstörten Wohnblocks, verzweifelten Müttern und Kindern. Dazwischen mehrdeutige Statements unserer Politiker. Sie geben sich fest entschlossen - und wirken dabei eher ziellos. Ein wachsender Teil in unserer Bevölkerung wendet sich ganz ab, viele verlieren ihr Informationsinteresse und gehen den Nachrichten über Politik und Krieg ganz aus dem Weg. Nach dem Konflikt über die Migrationspolitik, nach dem Streit um die richtigen Corona-Maßnahmen beschimpft man sich über die 'richtige' Haltung zu den Kriegen in Nahost und in der Ukraine. Sind Sie dafür oder dagegen? Jeder hat die einzig wahre Sicht, die andern gelten als ahnungslos oder borniert oder haben die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Deutschland spaltet sich in verfeindete Meinungslager. Können wir nicht mehr über Fragen der Mitverantwortung, über Solidarität und Hilfe für die Überfallenen nachdenken und miteinander Begründungen und Beurteilungen abwägen? Doch, genau dies wollten die beiden Autoren. Statt Gesinnung und Vorurteile gegeneinander zu stellen, diskutieren sie das Streitthema 'Was geht uns der Krieg in der Ukraine an? Wie können wir im offenen Diskurs unsere Haltung überprüfen und klären?' Ihre Argumente stützen sich auf Erfahrungen, logische Erwägungen und grundrechtliche Werte. Dieses Buch gibt das Streitgespräch in Form von 25 Briefen wieder. Die Autoren haben sie im Laufe von sechs Monaten - von Mitte März 2023 bis Mitte September 2023 - geschrieben und ausgetauscht: eine schriftlich geführte Debatte. Dabei vertritt keiner von ihnen ideologische Besserwisser-Positionen.

Michael Haller, Jahrgang 1945, studierte an den Universitäten Freiburg i.Br. und Basel Philosophie, Politik- und Sozialwissenschaften. Er promovierte über Hegels politische Philosophie und forschte zur Rolle der Medien in westlichen Demokratien. Vor seinem Ruf an die Universität Leipzig im Jahr 1993 war Haller während 25 Jahren als Reporter und leitender Redakteur in verschiedenen Pressemedien des deutschen Sprachraums tätig. Bis zu seiner Emeritierung im Herbst 2010 hatte er den Lehrstuhl für Allgemeine und Spezielle Journalistik inne. Heute ist er wissenschaftlicher Leiter des gemeinnützigen Europäischen Instituts für Journalismus- und Kommunikationsforschung (EIJK) in Leipzig. Forschungsgebiete: Deliberative Theorien der öffentlichen Kommunikation in Demokratien; Ermittlung und Vermittlung von Informations- und Medienkompetenz für die mediatisierte Lebenswelt, Probleme der Medien- und Kommunikationsethik.

Brief 3, Hamburg, Anfang April 2023


Lieber Hans-Peter,

während der Lektüre deines Antwortbriefs gewann ich den Eindruck, dass Du der Frage »Wie kommen wir vom Krieg zum Frieden?« ausweichst und stattdessen die Frage aufwirfst, ob die Weststaaten – Du meinst vermutlich die USA mit ihren Nato-Verbündeten – eine doppelte Schuld träfe: zum einen als Mitverursacher der dem Krieg vorausgegangenen Konflikte, zum andern durch ihre Verweigerung, Friedensverhandlungen aufzunehmen. Ich kenne diese Positionen, sie decken sich grosso modo mit dem offenen Brief (»Manifest«) von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer an die Bundesregierung, den Du mitunterzeichnet hast. Beide Punkte kommen auch in den Reden vor, die Ihr an der Kundgebung am 25. Februar in Berlin gehalten habt. Aus meiner Sicht zielen beide Positionen am Kern des Problems vorbei. Bitte lass mich dies hier begründen.

Zur ersten Position: Du bindest die Suche nach Frieden zurück an die Ursachen des Konflikts. Diese müssten rekonstruiert werden, so verstehe ich dich, ehe der Weg zum Frieden gefunden werden kann. Diesen Ansatz halte ich für akademisch, vielleicht geeignet für ein Seminar mit angehenden Historikern. Als Handlungsziel für die Friedenspolitik erscheint er mir irreführend. Deine These, Kriege seien Ersatzhandlungen und könnten mit »einer klugen, diplomatisch gesteuerten Friedensarchitektur« vermieden werden, vertreten auch namhafte Publizisten der linksalterativen Szene. Doch aus meiner Sicht erzählen die seit dem Zweiten Weltkrieg stattgehabten Kriege eine andere Geschichte. Du sagst, dass Kriege »als Symptom für eine schlechte Außenpolitik« zu deuten seien (23). Das mag – wenn ich dem britischen Historiker Christopher Clark (deutsch:Die Schlafwandler, 2013) folge – für die Gründe des Ersten Weltkriegs zutreffen. Damals gelang es den europäischen Nationalstaaten tatsächlich nicht, »eine stabile Friedenordnung aufzurichten«, wie Du es formulierst. Wobei: Die damaligen Machtstaaten Europas standen im Widerstreit zwischen borniertem Nationalismus und imperialen Grandiositätsphantasien. Vermutlich wollten die Generalstäbe der Achsenmächte keine Friedensordnung. Kriegsführung galt ihnen noch im Clausewitz’schen Sinne als effektives Instrument zur Durchsetzung außenpolitischer Ziele. Ich meine: Jene Sturköpfe waren vermutlich in Eri