: Stefan Imhof
: Der mit dem Hut
: Books on Demand
: 9783756265213
: 1
: CHF 7.30
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 316
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
"Der mit dem Hut" erzählt die Geschichten von Bruno, Eric und Wenzel, deren Lebenswege sich im Verlauf von vierzig Jahren immer wieder kreuzen. Ruth, Bauerntochter und Wirbelwind, taucht da und dort auf und mischt sich in die Schicksale der drei Männer. Bruno flieht aus Stadt und Studium in die Berge und lässt sich von einem Stall voller Rinder die Einsamkeit und von Ruth guten Sex erklären. Eric trägt seinen Hut sogar im Café, lehrt Bruno Hölderlin lesen und organisiert eine Begräbnisfeier vor seinem Tod. Wenzel, der Politiker, hat gern die Nase vorn und die Dinge im Griff. Ein geheimnisvolles Tagebuch lässt ihn zwar den Kopf schütteln, bringt aber seine Beziehung zu Ruth wieder in Fahrt. Bruno liest Gedichte von Jan Skácel, Eric liebt die späten Streichquartette von Beethoven und Wenzel hängt am Seil seiner Erinnerung und hört den Todesschrei eines abstürzenden Freundes. Alle versuchen sie auszubrechen aus Altem und Herkömmlichem und aufzubrechen in ein neues und freieres Leben. Manchmal helfen Literatur und Musik dabei, öfter aber die Liebe in ihren so unterschiedlichen Erscheinungsweisen. Der Roman umfasst die Jahre von 1980 bis 2020 und spielt in der Schweiz.

Stefan Imhof, 1961 im Kanton Bern (Schweiz) geboren, lange Zeit Lehrer für Deutsch und Geschichte, lebt und arbeitet im Engadin.

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in den scheunen trocknet aufgehängte stille


mein winterabenteuer wurde schnell zu einem wirklichen abenteuer. ruths geschichte liess mich nicht mehr in ruhe und meine eigene auch nicht. ich hatte die letzten jahre nie an silvia gedacht, schon gar nicht mit dieser frage. ich hatte die frage damals nicht gestellt und ich hatte sie seither nicht gestellt. jetzt war ruth in mein leben gekommen und ich habe gelernt, dass es diese frage überhaupt geben kann. ich hatte die stallarbeit, holz musste gehackt und in die küche getragen werden, ich musste feuer machen. diese täglichen dinge hatten nicht mit mir und mit diesen geschichten zu tun, das tat mir gut. auch die skácelverse halfen. ich las täglich, konnte schon einige gedicht auswendig aufsagen und machte mir notizen dazu. daneben blieb viel zeit für das andere, für diese geschichten, die mit ruth in meine berg-schnee-beschaulichkeit gekommen waren. ich studierte daran herum, vieles war mir unklar, ich fühlte mich verunsichert und antworten fand ich zunächst keine.

als ruth das nächste mal an die türe klopfte, überraschte sie mich wieder mit ihrer frischen direktheit. es kam alles anders, als ich mir das gedacht hatte.

"da bin ich schon wieder. es ist schön, dass es so warm ist in deiner hütte, mit dem schnee und dem wind da draussen wird dein feuer noch gemütlicher. beim letzten mal habe ich dich belastet und belästigt mit meiner geschichte, es hat mir gutgetan, das erzählen und auch das sitzen auf dem stroh, nahe bei dir. heute möchte ich nicht über mich und meine probleme reden, heute interessiert mich dein buch, dein einziges buch, das dort auf dem tisch liegt. erzählst du mir die geschichte?"

"es ist ein gedichtband, ich kann dir keine geschichte erzählen, es sind kurze gedichte, viele haben nur vier zeilen."

"aber gedichte erzählen auch geschichten. ein gedicht ist doch wie ein lied und jedes lied erzählt eine geschichte, auch wenn sie manchmal kurz ist. kannst du mir nicht aus diesem buch erzählen?"

ich