1Modelle und Modellierung
Modelle sind ein fundamentales Konzept unseres Umgangs mit der Welt. Alle Naturwissenschaftler und Ingenieure verwenden und schaffen Modelle, um allgemeingültige Aussagen zu treffen und um ihre Vermutungen zu konkretisieren. Oft markieren die Modelle Zwischenschritte auf dem Weg zu neuen Artefakten, also zu Brücken, Autos oder Funktelefonen. Im Software Engineering ist die Bedeutung der Modelle noch größer, weil sie nicht Zwischenschritte, sondern Endpunkte unserer Arbeit darstellen: Eine Spezifikation, aber auch ein Programm ist ein Modell. Natürlich gehören auch die Prozessmodelle dazu, nach denen die Projekte organisiert werden. Wir legen also mit diesem Kapitel, das aufLudewig (2003) basiert, den Grundstein für unser Buch. Das gilt auch für die beiden letzten Abschnitte, die sich mit Skalen und Skalentypen befassen.
1.1Modelle, die uns umgeben
1.1.1Die Bedeutung der Modelle
Lebenswichtig für uns sind die Modelle, die wir alsBegriffe kennen und verwenden, um uns ein Bild (d. h. ein Modell) der Realität zu machen. Ohne die Begriffe wäre für uns jeder Gegenstand ganz neu; weil wir aber zur Abstraktion fähig sind, können wir die Identität eines Gegenstands, seinen Ort, seinen Zustand und u. U. viele andere individuelle Merkmale ausblenden, um ihn einer Klasse von Gegenständen, eben demBegriff, zuzuordnen. Auf diese Weise erkennen wir auch einen Gegenstand, den wir noch nie gesehen haben, als Bleistift, Stuhl, Auto oder was immer in unserer Vorstellung am besten passt.
Diese Fähigkeit ist uns bereits von Natur aus gegeben; sie ist weder bewusst steuerbar, noch lässt sie sich unterdrücken. Darum sind wir auch nicht davor geschützt, falsche (d. h. ungeeignete) Modelle zu wählen. Wir erleben das erheitert bei optischen Täuschungen, wir erleiden es, wenn wir direkt oder indirekt Opfer von Vorurteilen werden: Auch das sind Modelle.
Dagegen steht es uns frei, Modelle bewusst einzusetzen, um auf diese Weise Phänomene zu erklären oder Entscheidungen zu überprüfen, bevor sie wirksam werden. Beispielsweise können wir ein geplantes Bauwerk durch eine Zeichnung oder ein Papiermodell darstellen und dann den Entwurf anhand des Modells überprüfen.
Wo Modelle offensichtliche Schwächen zeigen, neigen wir dazu, sie zu belächeln. Das gilt etwa für die Puppe, die ein spielendes Kind in einem länglichen Stück Holz sieht. Wo Modelle dagegen sehr überzeugend wirken, besteht die Gefahr, dass sie mit der Realität verwechselt werden. Darum ist zunächst festzuhalten: Ein Modell ist ein Modell, es ist nicht die Realität. Die Schwierigkeit, die wir haben, wenn wir von Modellen auf die Realität zu schließen versuchen, hat bereits der griechische Philosoph Platon (428/427–348/347 v. Chr.) in seinem berühmtenHöhlengleichnis angesprochen. Darin beschreibt er die Situation eines Menschen, der, seit seiner Kindheit in einer Höhle mit dem Gesicht zur Wand gefesselt, nur die Schatten der Menschen sieht,